Der Schwangerschaftsabbruch in Deutschland

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Wie im Text auch schon erwähnt, wurde die Abschaffung des § 219a StGB am 24. Juni 2022 im Bundestag beschlossen (von SPD, Grünen, FDP und Linken; CDU und AfD haben dagegen gestimmt). Ich habe den Text aber belassen, ggf. werde ich ihn in Zukunft updaten.

Über Schwangerschaftsabbrüche redet niemand gern. Es ist ein Thema, das immer noch mit einem enormen Stigma besetzt ist. Und Diskussionen darüber werden sehr schnell emotional. Ich habe mich in den letzten Monaten intensiv mit dem Thema beschäftigt, und einige Dinge gelernt, die mich sehr überrascht haben. Da sie auch für euch interessant sein könnten, soll es heute um den Schwangerschaftsabbruch in Deutschland gehen

Schwangerschaftsabbruch und Abtreibung sind Synonyme. Der Begriff Abtreibung ist aber deutlich negativer besetzt als der weitgehend neutrale Begriff des Schwangerschaftsabbruchs. Einige Vertreter der Pro-Choice-Bewegung versuchen, den Begriff Abtreibung wieder zurückzugewinnen und die negative Konnotation zu überwinden. Ich für meinen Teil verwende aber in den meisten Fällen lieber den Begriff des Schwangerschaftsabbruchs, außer in etablierten Begriffen wie “Abtreibungsgegner”.

Was jedoch kein sinnvoller Begriff ist: Es gibt keine “Unterbrechung” einer Schwangerschaft, wie wenn man auf Pause drückt und sie zu einem späteren Zeitpunkt einfach fortsetzen kann. Eine Schwangerschaft wird fortgesetzt oder abgebrochen, aber nicht unterbrochen. Ehrliche Sprache ist wichtig.

Rechtliche Regelung in Deutschland

In Deutschland ist ein Schwangerschaftsabbruch zunächst einmal immer illegal. Es gibt jedoch drei Ausnahmen, bei denen der Abbruch zwar immer noch illegal ist, aber straffrei bleibt. Für Juristen ist das ein wichtiger Unterschied, den ich aber nie ganz verstanden habe.

Die erste dieser Ausnahmen ist der Fall, dass der Abbruch vor der 14. Schwangerschaftswoche durchgeführt wird, eine Beratung durch eine offizielle Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle (was für ein Wort!) erfolgt ist, und zwischen Beratung und Abbruch mindestens drei Tage vergangen sind. Im Rahmen dieser Beratungsregelung erfolgen in Deutschland der Großteil der Abbrüche, ca. 96%. Die zweite Möglichkeit für einen straffreien Abbruch besteht bei Gefahr für die mütterliche Gesundheit, was man als maternale Indikation bezeichnet. Eine Frist, bis zu der der Abbruch erfolgen muss, gibt es hier nicht. Etwa 4% der Abbrüche, darunter auch Abbrüche in späten Stadien der Schwangerschaft, werden aufgrund dieser Indikation durchgeführt. Die letzte Möglichkeit besteht, wenn ein Arzt eine Sexualstraftat (z.B. eine Vergewaltigung) als Ursache der Schwangerschaft identifiziert, und der Abbruch vor der 14. Schwangerschaftswoche erfolgt. Hier spricht man dann von der kriminologischen Indikation. Im Gegensatz zur Beratungsregel muss hier keine verpflichtende Beratung erfolgen. In Deutschland werden <1% der Abbrüche aufgrund dieser Indikation durchgeführt.

Ein bisschen geburtshilfliche Nomenklatur muss an dieser Stelle erklärt werden. Im Gesetzestext steht nämlich nicht eine Frist von 14 Wochen, sondern von 12 Wochen. Das liegt daran, dass dort in Wochen nach der Konzeption, also der Befruchtung von Eizelle durch das Spermium, gerechnet wird. Man spricht auch von post conceptionem, abgekürzt p.c. Viel gängiger in der gynäkologischen Praxis ist jedoch die Angabe des Alters in Schwangerschaftswochen, die nicht seit der Befruchtung, sondern seit der letzten Menstruation gerechnet werden. Hier spricht man dann von post menstruationem, abgekürzt p.m. Da die Befruchtung immer recht genau zwei Wochen nach der letzten Menstruation erfolgt, unterscheiden sich die beiden Angaben um zwei Wochen. Die 12 Wochen p.c. des Gesetzestextes entsprechen also 14 Wochen p.m., also der 14. Schwangerschaftswoche. Leider wird in Texten oft nicht deutlich gemacht, ob es sich um eine Angabe p.c. oder p.m. handelt. Ich werde immer von Schwangerschaftswochen, also p.m. reden.

In jedem Fall muss der Abbruch aber von einem Arzt vorgenommen werden, um straffrei zu bleiben. Eine fetale Indikation, also einen Abbruch aufgrund einer (schweren) Fehlbildung des Fetus, gibt es in Deutschland streng genommen nicht. Diese Regelung wird aber manchmal dadurch umgangen, indem argumentiert wird, dass das Großziehen eines behinderten Kindes für die werdende Mutter so psychisch belastend wäre, dass eine Gesundheitsgefährdung für sie besteht, und daher die maternale Indikation greift.

Diese Regelung des Schwangerschaftsabbruchs gilt seit kurz nach der Wiedervereinigung (genau genommen seit 1995). Ein Abbruch nach der Beratungsregel wird nicht von der Krankenkasse gezahlt, sondern die Kosten müssen selbst übernommen werden.

Muss das so sein?

Prinzipiell ist diese Regelung als Kompromiss zu verstehen. Auf der einen Seite wird argumentiert, dass ein Embryo oder Fetus auch ein Recht auf Leben habe, und daher nicht abgetötet werden darf. Biologisch ist die Entwicklung einer einzelnen Zelle bis hin zu einem “vollwertigen” Menschen eine vollkommen kontinuierliche, auch wenn manchmal religiöse Argumente angebracht werden, dass die befruchtete Eizelle bereits eine Seele trüge – ein Konzept, das wissenschaftlich betrachtet schlicht Unsinn ist.

Interessanterweise gab es diese Idee zumindest im Katholizismus nicht immer. Das heute dort gültige Konzept der “Simultanbeseelung”, also das Entstehen der Seele zum Zeitpunkt der Befruchtung, wurde erst 1869 von Papst Pius IX zum Dogma erklärt. Damals hat es die Idee der “Sukzessivbeseelung”, also der Entwicklung der Seele innerhalb von 40 Tagen, die auf die alten Griechen zurückging, abgelöst. Dementsprechend waren auch Schwangerschaftsabbrüche im Katholizismus nicht immer die Todsünde, als die sie heute gelten, sondern galten bis zur Einführung der Simultanbeseelung als lässliche Sünde.

Auf der anderen Seite steht die Ansicht, dass jede Schwangere ein Recht auf körperliche Selbstbestimmung besitzt, und damit entscheiden darf, was mit ihrem Körper passiert und was nicht. Eine Schwangerschaft ist schließlich eine nicht zu unterschätzende Belastung für den Körper, die auch bleibende Schäden bis hin zum Tod nach sich ziehen kann. Im Spannungsfeld dieser beiden Rechte findet nun die Diskussion statt, bis wann ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt werden darf.

International finden sich daher viele unterschiedliche Regelungen des Schwangerschaftsabbruchs. Insbesondere in Ländern, in denen die katholische Kirche noch viel Einfluss hat, beispielsweise in Südamerika, aber auch in Polen, finden sich äußerst restriktive Gesetzgebungen, bei denen ein Abbruch oft nur nach Vergewaltigung oder bei Gefahr für das Leben der Mutter zulässig ist, und auch diese Ausnahmen gibt es nicht immer. Dazwischen finden sich viele Länder, die Fristenlösungen ähnlich wie in Deutschland eingeführt haben. Die Frist kann dabei variieren. Österreich, Frankreich und Belgien haben beispielsweise eine Frist von 14 Wochen wie in Deutschland. In Schweden gilt eine Frist von 18 Wochen, in den Niederlanden von 21 Wochen, und in Großbritannien von 24 Wochen. In Kanada gibt es gar keine gesetzliche Frist, hier wird ein Schwangerschaftsabbruch als ein medizinischer Eingriff wie jeder andere auch betrachtet (was nebenbei erwähnt sehr gut funktioniert – anders, als viele vielleicht erwarten würden). Gar keine gesetzliche Regelung haben neben Kanada nur China und Nordkorea.

Welche Regelung ist jetzt die beste? Letztlich kann man das nicht abschließend sagen, da es eine Ansicht ist, die von den eigenen Werten abhängt. Was sich jedoch objektiv sagen lässt, sind zwei sehr wichtige Punkte. Erstens ist es so, dass die Art der Gesetzgebung (restriktiv oder liberal) gar keinen wirklichen Einfluss darauf hat, wie viele Abbrüche denn durchgeführt werden. Letztlich werden sie bei einem Verbot dann eben illegal durchgeführt, oder in anderen Ländern, in denen sie erlaubt sind. Zweitens sind diese illegalen Abbrüche viel gefährlicher. Fast alle Komplikationen durch Abbrüche treten in Ländern mit restriktiver Gesetzgebung auf. Abbrüche machen ca. 8 % aller schwangerschaft- und geburtsassoziierten Todesfälle weltweit aus – eine erschreckende Zahl. Denn in Ländern mit einer liberalen Gesetzgebung sind Abbrüche enorm sicher, und haben ein weitaus geringeres Gesundheitsrisiko als eine Geburt. Wohingegen man also über den genauen Zeitraum und die Gründe diskutieren kann, bei denen ein Abbruch erlaubt sein sollte, ist ein völliges Verbot rein wissenschaftlich nicht zu halten: Es verhindert keine Abbrüche, sondern führt nur dazu, dass sie mit unsicheren Methoden von untrainierten Menschen durchgeführt werden – mit desaströsen Folgen für die Schwangeren.

Wie wird ein Schwangerschaftsabbruch denn überhaupt durchgeführt?

Leider muss ich diesen Punkt schuldig bleiben. Denn das deutsche Gesetz verbietet es Ärzten, diese Information zu verbreiten. Jetzt bin ich zwar noch kein Arzt, aber dafür ein Angsthase mit wenig Geld, der es sich nicht leisten kann, das Risiko einer Anzeige einzugehen. Den Grund hierfür werde ich im nächsten Kapitel erläutern, denn er ist ein absoluter Skandal des deutschen Strafrechts. Es geht um Paragraf 219a des Strafgesetzbuches.

Der Fall Kristina Hänel, oder wieso § 219a StGB dringend abgeschafft gehört

Im November 2017 wurde die Allgemeinärztin Kristina Hänel vom Amtgericht Gießen wegen Verstoß gegen § 219a StGB verurteilt. Sie hatte auf ihrer Praxiswebseite Informationen über den Ablauf und die unterschiedlichen Methoden von Schwangerschaftsabbrüchen veröffentlicht.

Den Wortlaut kann man im Urteil nachlesen, oder man findet ihn auch hier in einer besser formatierten Version. Wer also wissen will, wie ein Abbruch abläuft und welche Methoden es dafür gibt, der wird so doch noch fündig. Ich empfehle die Lektüre aber auch allen anderen Lesern, denn schließlich wurde eine Ärztin deswegen verurteilt. Da müssen dann ja schlimme Dinge drinstehen. Oder etwa nicht?

Wieso kann man als Ärztin für das bloße Bereitstellen von Informationen zu einer vierstelligen Geldstrafe verurteilt werden? Weil § 219a die Werbung für den Schwangerschaftsabbruch verhindern soll. Dass kein Arzt wirklich Abbrüche bewirbt (“Zwei Abtreibungen zum Preis von einer!”), sondern hier neutrale, sachliche Aufklärung unter Strafe gestellt hat, scheint den Gesetzgeber nicht zu interessieren. Oder etwa doch? Denn nach der medienwirksamen Verurteilung von Dr. Hänel hat sich die große Koalition daran gesetzt, § 219a zu reformieren. Statt der vielfach geforderten Streichung dieses Paragrafen aus dem StGB hat es jedoch nur zu einem kleinen “Reförmchen” gereicht: In der Neufassung ist nun der Hinweis darauf erlaubt, dass man als Arzt Abbrüche durchführt. Alles darüber hinaus ist weiterhin verboten. Nach der Neufassung hat auch das Landgericht Gießen sich noch einmal mit dem Fall Hänel befasst, und den neuen Paragrafen auf ihre Situation angewendet. Das Ergebnis? Sie wurde erneut zu einer Geldstrafe verurteilt. Denn das ursprüngliche Problem besteht weiterhin; die große Koalition hat grandios versagt. Aufklärung wird also weiterhin unter Strafe gestellt. Die Absurdität des Ganzen wird dann besonders deutlich, wenn man sich klar macht, dass genau diejenigen nicht über Schwangerschaftsabbrüche informieren dürfen, die dazu die meiste Expertise besitzen. Denn alle anderen Personen, die keine Mediziner sind, dürfen über sie informieren – wie es beispielsweise die Giordano-Bruno-Stiftung getan hat, als Protest gegen diesen unsäglichen Mistparagrafen.

Es bleibt jedoch die Hoffnung, das die neue Bundesregierung § 219a endlich ersatzlos abschaffen wird. Das wäre zumindest längst überfällig. Wir dürfen gespannt sein, was dazu im Koalitionsvertrag stehen wird.

Versorgungsprobleme

Als letzten Punkt zu diesem Thema möchte ich noch erwähnen, dass sich in Deutschland ein großes Problem im Hinblick auf die Versorgung anbahnt. Denn seit 2003 bis 2020 hat sich die Anzahl der Kliniken und Praxen, die Abbrüche durchführen, fast halbiert. Gerade in ländlichen Regionen ist es sehr schwer, einen Arzt zu finden, der nicht eine mehrstündige Autofahrt entfernt ist. Eine Karte findet sich hier. Nur um ein Beispiel zu nennen, das diese Problematik deutlich macht: Ein einzelner Arzt in Bayern führt dort fast ein Drittel aller Abbrüche durch – mit 75 Jahren, da er keinen Nachfolger findet. Gründe dafür gibt es viele, aber ein meiner Meinung nach wesentlicher ist die fehlende Rechtssicherheit für Ärzte. Die Problematik mit § 219a habe ich gerade schon erklärt, und man darf nicht vergessen, dass ein Abbruch nie legal, sondern bestenfalls straffrei bleibt. Man steht als Arzt, der Abbrüche durchführt, immer mit einem Bein im Gefängnis. Hinzu kommen die verbalen und mitunter körperlichen Attacken durch radikale Abtreibungsgegner, die beispielsweise vor Arztpraxen oder Beratungsstellen demonstrieren und Schwangere, Ärzte und Pfleger belästigen. Ärzte werden teilweise nur für Interviews, die sie zu dem Thema geben, angezeigt. In den USA zumindest wurden auch schon Abtreibungsärzte erschossen und sogar Bombenattentate auf sie verübt. Wenn diesen Fanatikern nicht konsequent mit rechtsstaatlichen Mitteln begegnet wird, dann wird sich das Problem der Versorgung in Zukunft nur weiter verschlechtern. Denn welcher junge Arzt entscheidet sich in diesem Klima noch, auch Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, wenn er das Gefühl hat, damit die Sicherheit seiner Angestellten, seiner Patienten und seiner Familie zu gefährden?

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