Zunächst einmal muss gesagt werden, dass Studien, die sich mit Pseudomedizin befassen meistens von schlechter Qualität sind. Damit ist gemeint, dass sie oft keine Placebogruppe, wenig Teilnehmer oder andere methodologische Mängel haben, die dazu führen, dass man ihre Daten nur schwer oder auch gar nicht interpretieren kann. Je nach genauer Art des methodologischen Mangels kann es sein, dass eine Studie mehr schadet als nutzt: oft wird aus einer völlig unzureichenden Studie geschlossen, dass die Wirkung einer bestimmten Form von Pseudomedizin nun bewiesen wäre. Diesen Fehlschluss bemerkt dann auch jeder, der sich mit Studien auskennt und diese liest. Auf Seiten der Anbieter dieser “alternativen” Heilmethode wird dann jedoch gerne auf diese Studie verwiesen, was auf den Laien den Eindruck macht, die Schlussfolgerung “Alternativmethode X wirkt” sei wissenschaftlich abgesichert, wobei die Studie aufgrund ihrer Mängel darüber gar keine Aussage zulässt. Eine solche Studie verzerrt also nur die wissenschaftliche Fragestellung, und auch bei einer Metaanalyse sind solche Studien schwer zu berücksichtigen (ab wann ist eine Studie denn so schlecht, dass ihre Ergebnisse gar nicht beachtet werden sollten, ab wann können wir ihnen vertrauen? Der Übergang von einer schlechten zu einer guten Studie ist fließend). Ein häufiges Beispiel für eine solche Studie ist eine Studie, in der keine Placebogruppe verwendet wird. Im Bereich der Pseudomedizin, wo es häufig um subjektive Messparameter (wie z.B. Schmerz oder Wohlbefinden) geht, ist eine Placebogruppe jedoch unerlässlich. Eine Studie ohne eine solche ist weniger als wertlos; sie schadet sogar.
Dass die Qualität vieler solcher Studien so schlecht ist liegt nicht immer an bösen Absichten. Oft fehlt es an der nötigen finanziellen Förderung, um eine große und aussagekräftige Studie durchzuführen. Oft sind aber auch die Studienleiter einfach nicht auf diesem Gebiet ausgebildet und wissen gar nicht, welche Kriterien eine gute Studie erfüllen muss. Klinische Forschung erfordert eben jede Menge Expertise.
Viele dieser Studien werden in China durchgeführt. Neben dem kulturellen Bias, das in vorherigen Teil besprochen wurde, bedeutet das jedoch auch, dass sie häufig auf Chinesisch publiziert werden. Das macht es den meisten Wissenschaftlern unmöglich, diese Studien zu bewerten (auch wenn sie in ein systematisches Review einbezogen werden, das auf Englisch publiziert wird).
Was einzelne, methodologisch hochwertige RCTs über die Akupunktur aussagen
Nach der Renaissance der Akupunktur, ausgelöst durch Restons Artikel in der New York Times 1971, wurden auch viele Studien zu ihrer Wirksamkeit durchgeführt und publiziert. Um die Jahrtausendwende war für die meisten Indikationen klar, dass Akupunktur keine spezifische Wirkung zeigt. Zu diesem Urteil kommt auch R. Barker Bausell in seinem 2007 publizierten Buch Snake Oil Science. Dort hat er alle qualitativ hochwertigen Studien zusammengetragen, die in angesehenen Journals zwischen Januar 2000 und Februar 2007 publiziert wurden. Als qualitativ hochwertig definierte er eine Studie, wenn sie vier Kriterien erfüllt:
- Die Studie verwendet eine angemessene Placebokontrolle
- Es finden sich mindestens 50 Patienten pro Gruppe (besser: 100)
- Die Dropoutrate liegt <25 % (da tendenziell eher die Patienten aus der Studie ausscheiden, die herausfinden, dass sie in der Placebogruppe sind)
- Publikation in einem angesehenen Journal. Ursprünglich wollte er nur das New England Journal of Medicine (NEJM) und das Journal of the American Medical Association (JAMA) verwenden. Nachdem die Anzahl an Studien (er hat sich jegliche Form von Pseudomedizin, nicht nur Akupunktur, angesehen) jedoch zu gering war, hat er auch die Annals of Internal Medicine und die Archives of Internal Medicine hinzugenommen (Science und Nature auch, dort wurden aber keine Studien publiziert, die seinen Kriterien entsprochen haben).
Sechs Studien zur Akupunktur haben diese Kriterien erfüllt:
- Akupunktur für Cocainabhängigkeit (negatives Ergebnis)
- Akupunktur zur Migräneprophylaxe (nicht mit der GERAC-Studie von weiter unten zu verwechseln; negatives Ergebnis)
- Akupunktur für chronische Nackenschmerzen (statistisch signifikantes, aber klinisch nicht signifikantes Ergebnis)
- Akupunktur für Kniearthrose (eine der vier GERAC-Studien von unten; negatives Ergebnis)
- Akupunktur für chronische Rückenschmerzen (nicht mit der GERAC-Studie von weiter unten zu verwechseln; negatives Ergebnis)
- Akupunktur für die Rehabilitation nach Schlaganfall (negatives Ergebnis)
Zwei Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen. Erstens, nur wenige Studien erfüllen solche (recht milden) Qualitätsansprüche. Zweitens, im Gegensatz zu reihenweise positiven Studien schlechter Qualität zeigen diese Studien keinen spezifischen Effekt der Akupunktur mehr. Das ist ein genereller Trend bei wirkungslosen Therapien: je rigoroser das Studiendesign (d.h. je weniger Möglichkeiten für Bias, d.h. für andere Gründe eines positiven Ergebnisses außer eines spezifischen Effekts), desto mehr verschwindet der Effekt, bis die besten Studien gar keinen Effekt mehr zeigen.
Weitere qualitativ hochwertige Studien, die 2006 und 2007 publiziert wurden, sind die GERAC-Studien (GERman ACupuncture trials). Sie wurden von deutschen Krankenversicherungen initiiert um zu vier Krankheitsbildern (mit unklarer Evidenz für Akupunktur) gute Daten zu liefern, die dann Grundlage für deren potentielle Erstattung für gesetzlich Versicherte bilden sollten. Die vier Krankheitsbilder waren chronischer Rückenschmerz (“chronic low back pain”), Arthrose des Knies, Migräne, und Spannungskopfschmerzen. Einen Überblick gibt die folgende Tabelle:
Krankheitsbild | chronischer Rückenschmerz | Kniearthrose | Migräneprophylaxe | Prophylaxe Spannungskopfschmerzen |
Journal | Archives of Internal Medicine | Annals of Internal Medicine | Lancet Neurology | Journal of Headache and Pain |
Publikationsjahr | 2007 | 2006 | 2006 | 2007 |
Gruppen (n) | Verum (377), Sham (376), Standard (364) | Verum (326), Sham (365), Standard (316) | Verum (169), Sham (191), Standard (83) | Verum (208), Sham (195), keine Standardgruppe |
primärer Endpunkt | Erfolg nach 6 Monaten (anhand zweier Scores) | Erfolg nach 6 Monaten (anhand zweier Scores) | Unterschied in der Anzahl an Migränetagen zwischen 4 Wochen vor und 26 Wochen nach Randomisierung | Reduktion der Kopfschmerztage um >50% von 4 Wochen vor Randomisierung verglichen mit 26 Wochen nach Randomisierung |
Ergebnis | kein Unterschied zwischen Verum und Kontrolle | kein Unterschied zwischen Verum und Kontrolle | kein Unterschied zwischen Verum und Kontrolle | kein Unterschied zwischen Verum und Kontrolle |
Anmerkungen | Verum und Kontrolle waren der konventionellen Therapie jedoch deutlich überlegen | Verum und Kontrolle waren der konventionellen Therapie jedoch deutlich überlegen | In der post hoc-Analyse Unterschied zwischen Verum und Kontrolle; kein Unterschied zwischen Verum und Standard | In der post hoc-Analyse Unterschied zwischen Verum und Kontrolle; kein Unterschied zwischen Bedarfsmedikation |
Zusammenfassend lässt sich also sagen: Für die allermeisten Indikationen lässt sich gar keine Wirkung der Akupunktur zeigen. Die meisten Behauptungen werden für die Wirkung bei Schmerzzuständen, wie Arthrosen oder Kopfschmerzen, aufgestellt. Das ist eine “red flag”, denn erstens gibt es aus dem theoretischen Hintergrund der Akupunktur keinen Grund, wieso nicht auch objektive Symptome therapierbar sein sollten, zweitens ist es typisch für eine wirkungslose Therapie, dass sich falsch-positive Effekte insb. bei der Untersuchung subjektiver, d.h. besonders durch den Placeboeffekt beeinflussbaren, Messparameter zeigen lassen. In großen, qualititativ hochwertigen Studien wie den GERAC-Studien lässt sich auch beim (per definitionem) subjektiven Messparameter Schmerz keine spezifische Wirkung der Akupunktur zeigen. Zwar konnt eine bessere Wirksamkeit der Akupunktur gegenüber der konventionellen Therapie (Physiotherapie und Schmerzmittel) gemessen werden, das lässt sich aber durch einen stärkeren Placeboeffekt der Akupunktur erklären (je invasiver die Therapie, desto größer der Placeboeffekt), und ist daher kein Beweis der Überlegenheit der Akupunktur – ein Faktum, das von den Krankenkassen leider elegant ignoriert wurden, denn sie haben diese Beobachtung als Begründung genommen, Akupunktur als Kassenleistung bei diesen Krankheitsbildern zu übernehmen.
Neben den qualitativ hochwertigen einzelnen Studien wollen wir aber auch anschauen, wie die Evidenzlage denn beim Betrachten der systematischen Reviews aussieht.
Was systematische Reviews und Metaanalysen über die Akupunktur sagen
Wie bereits erwähnt finden sich unzählige systematische Reviews zur Akupunktur, von denen auch viele positiv sind. Ich beschränkt mich in meiner Betrachtung auf Reviews der Cochrane Collaboration, welche die methodisch besten Reviews produziert.
Derzeit finden sich 54 Cochrane-Reviews, die sich speziell mit Akupunktur beschäftigen. Im folgenden eine Liste der Erkrankungen und Symptome, bei denen das entsprechende Cochrane-Review eine Wirksamkeit (positives Ergebnis) findet:
- Prävention von Migräne: der Unterschied zwischen Verum- und Placebogruppe betrug -0,5 Migränetage/Monat (3,5 Tage statt 4 Tage)
- Prävention von Spannungskopfschmerzen: in der Verumgruppe gab es ca. 50 % Responder (d.h. eine Reduktion der Kopfschmerztage um >50 %), in der Placebogruppe ca. 40 % nach 6 Monaten
Bei folgenden 45 Indikationen kommt das entsprechende Review zum Schluss, dass keine Evidenz für Wirksamkeit vorliegt (was jedoch nicht bedeutet, dass Evidenz für Unwirksamkeit vorliegt!):
- Fazialisparese
- primäre Dysmenorrhoe
- rheumatoide Arthritis
- Schulterschmerzen
- Epilepsie
- Asthma bronchiale
- chronische Hepatitis B
- Endometriose
- vaskuläre Demenz
- funktionelle Verdauungsstörung
- Raucherentwöhnung
- Restless-Legs-Syndrom
- Cocain-Abhängigkeit
- Entbindungsschmerz
- ischämische Enzephalopathie des Neugeborenen
- Autismus
- Karpaltunnelsyndrom
- ADHS bei Kindern und Jugendlichen
- Fibromyalgie (der angegebene Nutzen bezieht sich nur auf Elektroakupunktur)
- Glaukom
- Uterusmyom
- Hüftarthrose
- Bluthochdruck
- Gastroparese
- Schlaganfall (akut und zur Rehabilitation)
- Schlafstörungen
- Hordeolum
- Depression
- Unterdrückung des Würgereflexes
- Arthrose peripherer Gelenke
- Ellenbogenschmerz
- Mumps
- Hitzewallungen im Klimakterium
- Konzeption bei künstlicher Befruchtung
- Schluckauf
- Dysphagie bei Schlaganfall
- Tumorschmerzen
- Belastungsinkontinenz
- Geburteneinleitung
- neuropathische Schmerzen
- Reizdarmsyndrom
- akute Knöchelverstauchung
- progressive Kurzsichtigkeit bei Kindern
- chronische Nierenerkrankung
- Rehabilitation nach Schädel-Hirn-Trauma
Folgende Reviews geben keinen klaren Schluss:
- polyzystisches Ovarsyndrom (zeigte einen Nutzen von Verum vs. Placebo, aber es wurde explizit auf die unzureichende Studienlage hingewiesen, um wirklich Aussagen treffen zu können)
- chronische Rückenschmerzen (zeigte eine Wirksamkeit nur akut und nicht über längere Zeit, und viele methodisch schlechte Studien)
- Schizophrenie (moderater Effekt, jedoch schlechte Studienlage)
- prämenstruelles Syndrom (positiver Effekt, aber “limited evidence”)
- postoperative Übelkeit / Erbrechen (positiver Effekt, aber bei Evidenz schlechter Qualität)
Aus dieser Liste ist ersichtlich, dass sich auch bei den systematischen Reviews kein überzeugender Hinweis auf eine Wirksamkeit der Akupunktur finden lässt. Jedoch kommen zwei Reviews durchaus zu einem statistisch signifikanten Ergebnis. Der klinische Effekt ist zwar klein, aber auch nicht komplett vernachlässigbar. Trotzdem erklärt die Nullhypothese (Akupunktur hat keine spezifische Wirkung) diese Daten deutlich besser, als die Alternativhypothese. Denn warum sollte Akupunktur nur bei Kopfschmerzen helfen? Auch könnten sie z.B. durch ein publication bias erklärt werden.
Jedoch muss bei jeder medizinischen Intervention neben dem Nutzen immer auch das Risiko bewertet werden. Der Nutzen ist, wie hier dargelegt, im besten Fall klein, im schlechtesten Fall nicht vorhanden. Aber wie steht es mit dem Risiko? Ist Akupunktur wirklich nebenwirkungsfrei, wie oft behauptet wird (auch von anderer Pseudomedizin)? Darum soll es im nächsten und letzten Teil gehen.
Quellen:
- anstatt auf alle Cochrane-Reviews einzeln zu verlinken, soll diese Übersicht von Edzard Ernst genügen
- Beispiel für eine methodologisch suspekte RCT (aus China)