Prionen

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Was braucht ein Infektionserreger, um einen Wirt zu infizieren? Wie simpel können Keime sein? Bakterien, an die viele bei “Keimen” als erstes denken, sind eigene kleine Lebewesen mit einer ungeheuren Komplexität, die keineswegs simpel aufgebaut sind – auch wenn sie kleiner sind, deutlich kleiner sogar als eine menschliche (eukaryotische) Zelle. Sie haben ein großes Genom, das für tausende Gene kodiert und bestehen aus einzelnen Zellen, die aber auch Zellverbände ausbilden können (sog. Biofilme, wie man sie z.B. jeden Tag beim Zähneputzen entfernt). Viren hingegen sind deutlich kleiner, physisch und auch was ihr Genom betrifft; so klein, dass sie nicht mehr alle Funktionen, die für ein eigenständiges Leben nötig sind, selbst übernehmen können und daher zelluläre Parasiten sind (und deswegen auch – streng genommen – nicht als lebendig gelten). Dabei können sie trotzdem noch außergewöhnliche Effekte erzielen. Das Tollwutvirus beispielsweise hat ein Genom, das nur für fünf Gene kodiert, und verursacht trotzdem eine komplexe, nicht komplett verstandene und immer tödlich endende Krankheit. Zu den charakteristischen Symptomen gehört die Angst vor Wasser, die Hydrophobie, die man sonst von keiner anderen Krankheit kennt. Mit nur fünf Genen! Aber es geht noch simpler: Das Hepatitis D-Virus kann sich nur im Beisein des Hepatitis B-Virus vermehren, da es dessen DNA-Polymerase benötigt, um sein eigenes Genom zu vervielfältigen, und zeigt dadurch, dass selbst Läuse Flöhe haben können. Es besteht nur aus einem einzigen Gen mit einer Proteinhülle drum herum. Und es geht tatsächlich noch einfacher. Die simpelste Form des Infektionserregers ist ein infektiöses Protein – ein Prion.

Hauptsache Faltung

“Prion” ist ein Kunstwort aus der englischen Bezeichnung proteinaceous infectious particle. Es gibt nur einige wenige Erkrankungen, die durch Prionen ausgelöst werden. Die bekanntesten und häufigsten sind die spongiformen Enzephalopathien, zu denen u.a. der Rinderwahnsinn (BSE – bovine spongiforme Enzephalopathie) gehört. Eine Enzephalopathie ist schlicht eine Erkrankung des Gehirns. “Spongiform” bezeichnet die Tatsache, dass sich bei der Autopsie Substanzdefekte (Löcher) im Gehirn finden, die diesem ein schwammartiges Aussehen verleihen.

Zentraler Akteur bei den spongiformen Enzephalopathien ist das Prionen-Protein, das man durch diese Krankheiten erst entdeckt hat. Es ist ein Protein, das bei allen Säugetieren vorkommt, und das sich zwischen diesen auch nicht groß unterscheidet. Man spricht dann davon, dass das Protein evolutiv “konserviert” sei. Das erklärt, wieso spongiforme Enzephalopathien bei vielen Säugetieren vorkommen (s.u.). Die physiologische Funktion des Proteins ist weiterhin nicht ganz klar (bzw. es werden unterschiedliche Funktionen beschrieben). Die pathologische Funktion hat man hingegen recht gut verstanden. Das Problem liegt in einer Fehlfaltung des Proteins. Wie hier bereits ausführlich beschrieben, bestimmt die dreidimensionale Struktur eines Proteins seine Funktion. Den Prozess, wie sich eine Kette aus Aminosäuren zu einem dreidimensionalen Gebilde zusammenlegt, nennt man die “Faltung” des Proteins. Das Prionen-Protein existiert in zwei verschiedenen Faltungen. Eine ist die normale, physiologische. Die andere ist pathologisch und hat zwei Auswirkungen. Erstens wirkt sie toxisch auf Nervenzellen und führt so zu den neurologischen Symptomen, welche die spongiformen Enzephalopathien auszeichnen. Zweitens kann sie andere, normal gefaltete Prionen-Proteine dazu bringen, die schädliche Faltung anzunehmen. So kann sich das fehlgefaltete Prionen-Protein im Körper und insbesondere im Gehirn ausbreiten, indem es immer mehr gesunde Proteine in die schädliche Faltung konvertiert.

Creutzfeldt-Jakob, Scrapie, Rinderwahnsinn – viele Bezeichnungen für ein und dieselbe Erkrankung

Wenn sich die falsche Faltung von Prionen-Protein zu Prionen-Protein überträgt, wie entsteht dann die initiale Fehlfaltung? Hier gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste ist purer Zufall. Manchmal falten sich Proteine nicht so, wie sie es sollen. Oft entstehen dabei schlicht funktionslose Proteine, die in der Zelle wieder abgebaut werden und daher kein großes Problem darstellen. 

Der Rezeptor, der dafür verantwortlich ist, dass Nervenzellen unsere Muskeln zum kontrahieren bringen können, der nikotinische Acetylcholinrezeptor, faltet sich zu 90% falsch und wird direkt wieder abgebaut. Es bleiben aber genug richtig gefaltete Rezeptoren übrig, so dass es keinen evolutionären Druck gegeben hat, hier eine bessere Quote zu erreichen. Proteinausschuss in Form fehlgefalteter Proteine ist also zunächst mal etwas ganz normales in der Zellbiologie.

Im Falle des Prionen-Poteins kann aber auch die gefährliche Fehlfaltung eingenommen werden. Dieses fehlgefaltete Protein gibt seine Fehlfaltung dann an andere Prionen-Proteine weiter. So nehmen immer mehr Prionen-Proteine im Gehirn die falsche Faltung an und führen so zu Zellschäden und Zelltod. Das Gehirn wird löchrig. Diese ursprüngliche Fehlfaltung ist aber enorm selten. Wenn sie beim Menschen auftritt, dann nennen wir die entstehende Krankheit einen (sporadischen) Morbus Creutzfeldt-Jakob, der mit einer Inzidenz von grob 1:1.000.000 pro Jahr auftritt. Das ist so selten, dass die wenigsten Ärzte in ihrer Karriere auch nur einen einzigen Fall dieser Erkrankung sehen.

Die zweite Möglichkeit der initialen Fehlfaltung ist eine Mutation im Prionen-Protein-Gen, welche die Wahrscheinlichkeit drastisch erhöht, dass sich das Protein falsch faltet. Diese Mutationen können auch vererbt werden, und hier kann es dann zu familiären Fällen des Morbus Creutzfeldt-Jakob kommen (d.h. in einer Familie sind dann mehrere Mitglieder betroffen – was bei der sporadischen Form nicht vorkommt). Das ist jedoch nochmal seltener, nur grob 10 % der Fälle von Creutzfeldt-Jakob treten familiär auf.

Als Randbemerkung kann man noch erwähnen, dass die “zufällige” Fehlfaltung auch auf Mutationen beruhen kann, die jedoch nicht vererbt wurden, sondern in Nervenzellen mit dem Alter entstanden sind. Man spricht dann von sog. somatischen (“körperlichen”) Mutationen, in Abgrenzung zu solchen, die vererbt werden (sog. Keimbahnmutationen).

Die gleichen beiden Mechanismen (zufällige Fehlfaltung, Fehlfaltung durch Mutationen) können natürlich auch bei Tieren auftreten. Die verursachten Krankheiten sind eigentlich identisch mit denen beim Menschen, haben aber andere Namen bekommen. Bei Schafen nennt man die Erkrankung scrapie, bei Rindern eben Rinderwahnsinn. Es gibt das chronic wasting syndrome beim Reh und bei Nerzen spricht man von der transmissible mink encephalopathy. Alles total überflüssige Nomenklatur, jedes Mal handelt es sich um eine spongiforme Enzephalopathie der entsprechenden Tierspezies.

Infektionserkrankung?

Wir haben diesen Eintrag jedoch mit einer Betrachtung von Infektionserregern begonnen. Inwiefern sind diese Erkrankungen nun zwischen Individuen übertragbar? Bis jetzt hat sich das fehlgefaltete Prionen-Protein nur in einem Organismus ausgebreitet, wurde aber noch nicht zwischen Organismen übertragen.

Prionen sind außerordentlich umweltresistent. Sie bleiben auf Oberflächen (zum Beispiel chirurgischen Instrumenten) lange noch stabil; ebenso ist es schwer, sie mittels Hitze zu inaktivieren. Auch Magensäure oder unsere Verdauungsenzyme können sie nicht (vollständig) unschädlich machen. Als man in Großbritannien begonnen hat, Rindern Tiermehl zuzufüttern, das ebenfalls aus Rind bestand, konnten so Prionen von einem Tier auf das andere übertragen werden. Einmal mit der Nahrung aufgenommen, können Prionen sich im Körper (auch in anderen Geweben als dem Gehirn) des Tieres “vermehren”, indem sie immer mehr normale Prionen-Proteine in die schädliche Form überführen. Gelangen sie in das Gehirn, verursachen sie dort die bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE). Wird ein solches Tier dann geschlachtet und zu Tiermehl verarbeitet, werden weitere Tiere infiziert, und der Replikationszyklus beginnt erneut.

Das gleiche kann natürlich auch passieren, wenn Menschen infiziertes Rindfleisch (oder andere Körperteile, insbesondere natürlich das Gehirn) verzehren. Die Krankheit, die sich dann entwickelt, nennt man dann einen varianten Morbus Creutzfeldt-Jakob. Er verläuft etwas langsamer als die sporadische Form. Beim varianten Creutzfeldt-Jakob dauert es grob 12 Monate von der Diagnose bis zum Tod, bei der sporadischen Form nur etwa halb so lange. Dass die Erkrankung auch zwischen Spezies übertragbar ist, liegt daran, dass sich das Prionen-Protein eben kaum zwischen Spezies unterscheidet.

Die Buchstaben BSE kennen viele noch von der Epidemie aus den 80- und 90er-Jahren, die ihren Ursprung in Großbritannien nahm. Als man entdeckte, dass sich auch Menschen mit dieser immer tödlich verlaufenden Erkrankung infizieren konnten, wurden Millionen an Rindern gekeult, um den Ausbruch in den Griff zu bekommen. Am varianten Creutzfeldt-Jakob sind “nur” 187 Menschen gestorben. Trotzdem gab und gibt es Diskussionen darüber, ob die millionenfache Keulung von Rindern, mit den teils enormen wirtschaftlichen Folgeschäden für die betroffenen Bauern, denn gerechtfertigt war. Schließlich wurden großteils augenscheinlich gesunde Tiere getötet. Andererseits beträgt die Inkubationszeit, also die Zeit zwischen dem Konsum infizierten Fleisches und dem Auftreten von Symptomen mitunter Jahrzehnte. Es war also schwer zu beurteilen, inwiefern man die Epidemie eingedämmt hatte oder nicht. Vielleicht waren die Keulungen, auch im Rückblick, total übertrieben, vielleicht liegt aber auch nur ein klassisches Präventionsparadoxon vor.

Dass Prionen auch von Mensch zu Mensch übertragbar sind, dürfte wenig überraschen. Hier kann man zwei Formen unterscheiden. Einmal kann natürlich auch der Konsum infizierter Menschen das Prionen-Protein übertragen. Die einzigen Fälle, bei denen eine solche Übertragung beschrieben wurden, traten bei einem kannibalistischen Stamm in Papua Neu-Guinea auf, in dem Teile der Gehirne Verstorbener aus spirituell-religiösen Gründen verzehrt wurden. Die resultierende Krankheit wurde von ihnen Kuru genannt. Seitdem die Ursache bekannt ist, wurde diese Praxis eingestellt, und schon seit mehr als einem Jahrzehnt sind keine Fälle von Kuru mehr beschrieben. Die andere Möglichkeit der Übertragung ist über chirurgische Instrumente, beispielsweise wenn an einem infizierten Menschen eine Hirnoperation durchgeführt wird und das Instrumentarium danach nicht ausreichend sterilisiert wird – was schwierig sein kann, da Prionen wie schon erwähnt äußerst umweltresistent sind. Meines Wissens passiert das in der Praxis aber eigentlich nicht, da chirurgisches Material eben doch sehr gründlich gereinigt und sterilisiert wird.

Conclusio

Zum Glück sind spongiforme Enzephalopathien äußerst selten. Der Pathomechanismus, dass ein Protein andere Proteine in eine schädliche Konformation überführt, ist aber äußerst interessant. Diese Erkenntnis ist auch deswegen wichtig, da ein sehr ähnliches Phänomen auch bei vielen anderen neurodegenerativen Erkrankungen zu beobachten ist, z.B. beim M. Parkinson, dem M. Alzheimer oder der ALS. Auch hier spielen fehlgefaltete Proteine, die wiederum zur Fehlfaltung weiterer Proteine führen, eine wichtige Rolle, auch wenn die genauen Zusammenhänge immer noch ungenügend verstanden sind. Auch Therapien konnten bisher noch nicht entwickelt werden, weder für häufige neurodegenerative Erkrankungen noch für den M. Creutzfeldt-Jakob. Letzterer verläuft immer noch zu 100 % tödlich. Prionen zeigen aber einmal mehr, dass die Funktion eines Proteins in seiner dreidimensionalen Struktur liegt – nicht nur in der Abfolge der Aminosäuren – und wieso das Verständnis dieser Strukturen so wichtig ist.

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