Vitamin D-Supplemente

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Vitamin D wird aus vielen Gründen von vielen Menschen supplementiert. Es soll gegen Osteoporose, Krebs und Depressionen helfen. Gerade bei der Osteoporose gehört es zur Basistherapie. Allerdings sind die Studiendaten in vielen Fällen wenig überzeugend und sprechen eigentlich eher gegen eine Supplementierung. Schauen wir uns zum Jahresende doch an, was es mit dem Vitamin D auf sich hat und ob es wirklich so ein Wundermittel ist, wie oft behauptet wird.

Biochemie

Allein bei der Frage, was Vitamin D ist, beginnen schon die Probleme. Denn Vitamin D ist streng genommen gar kein Vitamin. Vitamine sind kleine organische Moleküle, die der Körper selbst nicht synthetisieren kann und die deshalb mit der Nahrung zugeführt werden müssen. Aber Vitamin D kann sehr wohl vom Körper selbst hergestellt werden. Dazu ist jedoch Sonnenlicht nötig (bzw. genauer: UV-Licht). Dieses UV-Licht kann den chemischen Vorläufer des Vitamin D, das 7-Dehydrocholesterin, in einer chemischen Reaktion in Cholecalciferol umwandeln. Cholecalciferol ist eine Form von Vitamin D. Nur eine Form? Ja, denn “das” Vitamin D gibt es nicht. Es gibt mehrere chemische Spezies, die letztlich alle die gleichen (ähnlichen?) Effekte auf den Körper haben. Das vom Körper selbst produzierte Cholecalciferol wird auch Vitamin D3 genannt.

Da der Körper Vitamin D auch selbst synthetisieren kann, wäre die Bezeichung D-Hormon eigentlich die viel treffendere. Denn ein (echtes) Hormon ist definitionsgemäß ein Stoff, der an einer Stelle im Körper produziert wird, dann über die Blutbahn transportiert wird und dann an einer anderen Stelle einen bestimmten Effekt auslöst. Es gibt jedoch viel Diskussion darüber, ob man den gesamten Bedarf an Vitamin D nur über das Sonnenlicht decken kann. Je nachdem wäre dann die Bezeichnung eines Vitamins dann wieder die bessere. Ich bleibe mal beim Begriff des Vitamin D, da dieser einfach viel gebräuchlicher ist. Aber man merkt schon: Es wird schnell kompliziert.

Manch Leser fragt sich, wenn es denn auch als Vitamin gelten kann, in welchen Lebensmitteln findet sich denn dann Vitamin D. Generell kann man sagen: in tierischen Produkten. Wenn man es ganz einfach haben will, dann kann man sagen: in fettem Fisch (z.B. Lachs). In manchen Ländern werden auch einige Nahrungsmittel mit Vitamin D angereichert, z.B. Milch in den USA. In Deutschland ist das seltener der Fall, wohl nur bei einigen Speiseölen.

Aber damit noch nicht genug. Denn das “nackte” Cholecalciferol hat noch gar keine biologische Wirkung. Es muss zunächst noch vom Körper aktiviert werden. Das findet in zwei Schritten statt, und das auch noch in zwei unterschiedlichen Organen. Zunächst wird in der Leber eine Hydroxylgruppe (OH-) an das Molekül angehängt (am C1-Atom), dann in der Niere noch eine zweite Hydroxylgruppe am C25-Atom. Entsprechend nennt sich das Endprodukt dann 1,25-Dihydroxycholecalciferol oder kurz Calcitriol.

Wie wirkt Vitamin D jetzt? Wie schon erwähnt ist nur das zweifach hydroxylierte Molekül biologisch aktiv. Es wirkt, indem es im Zellkern an bestimmte Proteine (Rezeptoren) bindet, die dann durch diese Bindung Einfluss auf die Transkription der DNA nehmen, also dazu führen, dass bestimmte Proteine vermehrt gebildet werden und andere nicht mehr. Das hat dann viele unterschiedliche Effekte auf den Körper. Zum einen bewirkt Vitamin D in der Niere und im Darm, dass vermehrt Calcium und Phosphat aus dem Harn bzw. der Nahrung (rück)resorbiert werden. Beide Ionen sind wichtiger Bestandteil der anorganischen Knochensubstanz. Im Knochen wird die Umbaurate gesteigert (Knochen ist lebendiges Gewebe, das konstant abgebaut und wieder aufgebaut wird. Daher heilt ein Knochenbruch so gut, auch wenn wir oft den Eindruck haben, dass Knochen totes Gewebe wäre). Viele andere Wirkungen sind beschrieben, das sind jedoch diejenigen, die (meinem Eindruck nach) auf biochemischer Ebene am besten verstanden sind.

Eine andere Herangehensweise an die Frage, was Vitamin D denn eigentlich im Körper bewirkt, ist es, sich anzuschauen, was passiert, wenn wir zu wenig davon haben. Hier muss man sagen, dass sich eigentlich nur ein Effekt klar zeigt: es kommt bei Vitamin D-Mangel zu weniger belastbaren Knochen mit Fehlstellungen und einem erhöhten Frakturrisiko. Auch der Muskel kann betroffen sein, mit Muskelschwäche und -schmerzen.

Wie ist eine Hypovitaminose denn definiert? Anders gefragt, wie wenig Vitamin D ist zu wenig? Hier wird es wieder kompliziert. Man kann die Menge an Vitamin D im Blut messen. Genau genommen wird hier 25-Hydroxycalciferol gemessen, also nicht die aktive Form, sondern dessen Vorstufe. Die Konzentration wird hier meistens in ng/ml angegeben. 20-50 ng/ml werden meistens als ausreichend beschrieben. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit gibt <12 ng/ml als erhöhtes Risiko für einen Mangel an. Eine Hypervitaminose tritt vermutlich bei Werten >160 ng/ml auf. Einen klaren Konsens gibt es hier aber nicht.

Wie kommt man denn auf diese Werte? Nun, in großen epidemiologischen Studien kann man Probanden mit niedrigen Werte mit solchen mit hohen vergleichen. Betrachtet man die Gesamtmortalität, also das Risiko zu sterben, dann sieht man, dass es bei Probanden mit Werte von etwa <20 ng/ml und etwa >50 ng/ml beginnt, anzusteigen. Wie immer bei epidemiologischen Studien ist hier jedoch die Frage: Was ist Ursache und was ist Wirkung? Führen niedrige Vitamin D-Werte zu einem erhöhten Risiko zu sterben, oder haben z.B. schwer kranke Menschen niedrigere Vitamin D-Konzentrationen im Blut? Letztlich können epidemiologische Studien diese Frage nur schwer beantworten. Wenn ein Vitamin D-Mangel aber wirklich zu einer höheren Sterblichkeit führt, dann sollte eine Supplementierung mit Vitamin D diese Sterblichkeit wieder senken. Diese Hypothese kann man prüfen und das schauen wir uns im nächsten Kapitel an.

Wir können festhalten, dass sich hinter “Vitamin D” deutlich mehr verbirgt, als man zunächst annehmen würde. Die Biochemie ist vielfältig und die Grenzwerte für einen Mangel bzw. eine Überzufuhr sind unklar und uneinheitlich. Zum Glück müssen wir aber nicht versuchen, aus diesem Wust an Fakten und Meinungen Empfehlungen zu geben, wer regelmäßig ein Vitamin D-Präparat einnehmen sollte und wer nicht. Denn ob solch eine Supplementierung sinnvoll ist, das verraten uns klinische Studien, nicht biochemische Überlegungen.

Klinische Evidenz zur Supplementierung

Zu Beginn müssen wir kurz festhalten, was mit Supplementierung gemeint ist, nämlich die Zufuhr von Vitamin D, ohne dass ein bestimmter Zustand (z.B. ein bestimmtes Alter oder eine Schwangerschaft) oder eine klinische Diagnose (z.B. Osteoporose) vorliegt. In solchen Untergruppen kann eine Vitamin D-Zufuhr also durchaus sinnvoll sein (dazu in der Conclusio mehr). Hier geht es aber zunächst darum, ob ein Standardmensch davon profitiert, täglich (oder einmal wöchentlich) ein Vitamin D-Präparat einzunehmen, ohne dass dieser Mensch zu einer der angesprochenen Gruppen gehört.

Bevor wir uns gleich mit den Details beschäftigen, kann man eine gute und eine schlechte Nachricht zu klinischen Studien über Vitamin D festhalten. Die gute Nachricht ist, dass es prinzipiell sehr gut möglich ist, die Effekte einer Supplementierung zu untersuchen. Der Goldstandard einer randomisierten Doppelblindstudie ist hier vergleichbar einfach zu erreichen. Die schlechte Nachricht ist jedoch, dass bei präventiven Ansätzen immer sehr große Probandenkollektive untersucht werden müssen, und das über einen langen Zeitraum. Zum Glück wurden viele solcher Studien durchgeführt, so dass wir auch wirklich einige klare Schlüsse ziehen können.

Vitamin D-Supplementierung hat keinen Einfluss auf die Gesamtsterblichkeit. Zu diesem Schluss kommen große Metaanalysen, z.B. der Cochrane Foundation hier oder The Lancet Diabetes & Endocrinology hier.

Der einzig nachweisbare Einfluss einer Supplementierung von Vitamin D (nur in Kombination mit Calciumionen, Ca2+) zeigt sich bei der Prävention von Knochenbrüchen. Das Risiko ist hier bei alten Menschen um ca. 16% reduziert, wenn sie ein Vitamin D+Ca2+-Präparat einnehmen. Diesem kleinen, aber relevanten Vorteil steht ein erhöhtes Risiko von gastrointestinalen Symptomen (ca. 5%) und Nierenerkrankungen (ca. 16%) gegenüber. So erklärt sich, wie es sein kann, dass zwar Knochenbrüche verhindert werden (die im Alter oft tödlich enden können), es aber insgesamt keinen Einfluss auf das Überleben hat, ob man ein Vitamin D-Präparat einnimmt oder nicht. Eine andere Studie findet einen (relevanten) Vorteil bei Schenkelhalsfrakturen nur bei Menschen, die schon in einer Pflegeeinrichtung o.ä. wohnen; eine weitere einen etwas größeren Vorteil, ohne jedoch auch Nebenwirkungen zu untersuchen. Die VITAL-Studie, als qualitativ exzellente einzelne RCT (im Vergleich zu den bisher genannten Metaanalysen, die auch Schwächen haben), hat hingegen gar keinen Einfluss der Supplementierung zeigen können; auch bei Patienten, bei denen zuvor niedrige Vitamin D-Konzentrationen (<20 ng/ml) im Blut gemessen wurden.

Interessant ist der Effekt von Vitamin D-Supplementen bei Krebs. Es konnte klar gezeigt werden, dass eine Supplementierung die Inzidenz von Krebs nicht reduziert. Man erkrankt also trotz Supplement genauso (un)wahrscheinlich an Krebs wie ohne. Aber: Wenn man erst einmal an Krebs erkrankt, kann eine Supplementierung (bzw. würde man nach der von mir verwendeten Definition von “Supplementierung” dann eigentlich eher von einer Therapie sprechen) das Risiko zu sterben um ca. 10% reduzieren. Für eine so einfache Therapie und eine so schwerwiegende Erkrankung finde ich das eine bemerkenswert hohe Zahl.

Ebenfalls bleibt das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse (wie Herzinfarkte und Schlaganfall) unbeeinflusst, zusammen mit Ca2+ könnte das Schlaganfallrisiko sogar steigen. Der Blutdruck verändert sich durch eine Supplementierung nicht.

Vitamin D reduziert nicht das Risiko, an Diabetes mellitus Typ 2 zu erkranken. Eine Supplementierung reduziert auch nicht das Risiko von Depressionen oder Demenz (zumindest in einer Gruppe postmenopausaler Frauen).

Conclusio

Was kann man denn nun aus diesen Ausführungen schließen? Zunächst einmal lässt sich festhalten, dass man in epidemiologischen Studien feststellen kann, dass niedrige (und hohe) Vitamin D-Konzentrationen mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert sind. Diese Sterblichkeit lässt sich jedoch nicht durch die Supplementierung von Vitamin D behandeln. Daraus kann man schlussfolgern, dass die niedrigen Vitamin D-Konzentrationen nur ein Marker, nicht jedoch die Ursache sind, und andere gesundheitliche Probleme der eigentliche Grund für die erhöhte Sterblichkeit sind (und als Nebeneffekt den Vitamin D-Spiegel verändern). Wir finden also nur eine Korrelation, keinen kausalen Zusammenhang. Korrelation mit Kausalität gleichzusetzen ist einer der zentralsten logischen Fehlschlüsse, die wir als Menschen machen, und den wir daher alle kennen und damit vermeiden sollten.

Wir haben definiert, dass sich Supplementierung auf die allgemeine Zufuhr eines Vitamins bezieht, nicht jedoch auf den Nutzen dieses Vitamins bei einer bestimmten Erkrankung (z.B. Osteoporose) oder eines anderweitig definierten Zustandes (z.B. bei Kindern). Hier kann es durchaus einige Anwendungen geben, bei denen Vitamin D therapeutisch gegeben wird und dabei auch eine Wirkung entfaltet (wobei der Übergang von Supplementierung und Therapie natürlich auch ein fließender ist). Die gängigste Indikation ist sicherlich die Therapie der Osteoporose. Leider sind hier die Daten – wie oben aufgelistet – äußerst unüberzeugend. Allerhöchstens findet sich ein kleiner Nutzen für die Knochendichte, der jedoch durch Nebenwirkungen wie Nierenschäden wieder “aufgefressen” wird, so dass gar kein Nettonutzen erzielt wird. Eine durchschlagende Therapie der Osteoporose ist Vitamin D (plus Ca2+) also sicherlich nicht.

Eine der wenigen Situationen, in denen eine zusätzliche Vitamin D-Zufuhr aber sinnvoll zu sein scheint, ist bei Krebs, mit einer wie erwähnt etwa 10% reduzierten Mortalität. Hier wäre es interessant zu wissen, ob dies für alle Tumoren etwa gleich gilt, oder ob manche Tumoren besonders gut und manche besonders schlecht auf Vitamin D ansprechen. Da die Nebenwirkungen jedoch relativ gering (aber nicht Null!) sind, scheint hier eine Empfehlung durchaus Sinn zu machen.

Für den gesunden Durchschnittsmenschen (sofern es sowas überhaupt gibt) ist jedoch klar: Das Geld für Vitamin D-Präparate kann man sich sparen. Zahlreiche Einzelstudien hoher Qualität und mehrere Metaanalysen kommen zu dem Schluss, dass es keinerlei Vorteil bringt, jeden Tag ein Supplement einzuwerfen. Es wäre schön, wenn wir mit so einer einfachen Methode unsere Gesundheit nachhaltig verbessern könnten. Dieser Wunsch entspricht aber leider nicht der Realität.


Quellen:

  • neben den verlinkten Quellen hat das CDC ein exzellentes (und ausführliches) Fact Sheet zu Vitamin D erstellt

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