Das menschliche Genom – DNA, Chromosomen und Karyogramme

Veröffentlicht von

Im Teil 4 meiner Serie zu biologischen Substanzgruppen ging es schon um DNA – ihrem Aufbau als chemisches Molekül. DNA ist die Trägerin unserer Erbinformation. Zu einem guten Teil legt unsere DNA fest, wer wir sind. Dabei trägt (fast) jede unserer Zellen eine Kopie unseres Genoms, also der Gesamtheit unserer Erbinformation, in ihrem Zellkern. Dort liegt sie jedoch nicht einfach als langer Faden vor, sondern wird in 46 Einzelfäden unterteilt – die Chromosomen. Diese Woche wollen wir einen Exkurs in die Grundlagen der Humangenetik machen, damit man andere (vielleicht etwas spannendere) Themen, über die ich in Zukunft schreiben möchte – wie Gentherapien, CRISPR, Erbkrankheiten oder Next-Generation Sequencing – besser verstehen kann.

Schon in diesem ersten Abschnitt sind einige Vereinfachungen enthalten. Der Vollständigkeit halber müssen sie kurz aufgegriffen werden; “Neulinge” in diesem Thema können einfach weiterlesen. Das Genom enthält neben dem Großteil der Erbinformation, die im Zellkern vorliegt, natürlich auch noch die mitochondriale DNA (mtDNA), die mengenmäßig nur einen Bruchteil ausmacht, aber funktionell sehr wichtig ist. Diese mtDNA ist das Überbleibsel der DNA der Bakterien, die vor Milliarden Jahren eine Symbiose mit Vorläufern eukaryotischer Zellen eingegangen sind, und deren Nachfahren heute die Mitochondrien darstellen. Darüber hinaus haben nicht alle Zellen einen Zellkern, der zum Beispiel bei den Erythrozyten (rote Blutkörperchen) und den Thrombozyten (Blutplättchen) fehlt – und die dementsprechend keine DNA enthalten, mit Ausnahme natürlich der mtDNA. Und zu guter Letzt müssen die Lymphozyten erwähnt werden, welche im Laufe ihrer Reifung die Genabschnitte für den B- bzw. T-Zell-Rezeptor mutieren, und die dementsprechend nicht die vollständige Erbinformation des Organismus enthalten. Anders formuliert: Um einen Menschen zu klonen könnte man jeden beliebigen Zellkern verwenden, mit Ausnahme der Lymphozyten, denn aus diesem Klon könnte sich kein funktionsfähiges adaptives Immunsystem mehr entwickeln.

Der Mensch besitzt 23 Chromosomenpaare

Genetik ist ein super kompliziertes Gebiet. Am besten nähern wir uns dem Thema daher mit einem Bild. Denn obwohl DNA eigentlich als Molekül viel zu klein sein sollte, als dass man sie unter dem Lichtmikroskop sehen könnte, ist sie ein so langes und damit großes Molekül, das im Zellkern zusätzlich an so viele Proteine gebunden vorliegt, dass man sie tatsächlich unter bestimmten Voraussetzungen im Lichtmikroskop (also einem Mikroskop, wie man es aus dem Biologieunterricht kennt) sehen kann. Dazu muss man Zellen in einer bestimmten Phase der Zellteilung betrachten, nämlich während sie ihre Erbinformation schon verdoppelt hat, diese aber noch nicht auf die beiden Tochterzellen verteilt hat. Dann kann man die Zelle mit einem Farbstoff behandeln, und die 46 menschlichen Chromosomen mikroskopisch betrachten. Da so ein “Chromosomenhaufen” ziemlich unübersichtlich ist, werden die Chromosomen nach der Größe (und einigen anderen Kriterien) geordnet und mit Ziffern benannt – es entsteht das sogenannte Karyogramm:

Ein menschliches Karyogramm, Giemsa-Färbung. Es finden sich 23 Chromosomenpaare, welche der Größe nach geordnet werden. Die einzelnen Chromosomen werden anhand ihrer charakteristischen Färbung erkannt. Es werden Autosomen (1-22) von den Gonosomen (Geschlechtschromosomen, X bzw. Y) unterschieden. Dabei legt die Konfiguration der Gonosomen das genetische Geschlecht fest: XX ist weiblich, XY männlich. Davon abzugrenzen sind das biologische und das soziale Geschlecht. Quelle: Wikipedia, public domain

In dieser Form liegen die Chromosomen also nur in einer ganz kurzen Phase der Zellteilung vor – im “Normalzustand” einer Zelle sind Chromosomen viel weniger eng gepackt, da die Erbinformation von ihr abgelesen werden muss. Aber der Zustand im Karyogramm eignet sich hervorragend, um Chromosomen sichtbar zu machen und zu zählen. Bei der Trisomie 21 (Down-Syndrom) liegt das Chromosom 21 bekanntlich dreifach vor statt doppelt, was man im Karyogramm direkt diagnostizieren kann.

In meinem Artikel zur DNA habe ich bereits erwähnt, dass die Erbinformation als vier Basen kodiert ist, die man mit vier Buchstaben abkürzt: A, T, C, G. Die Erbinformation aller 46 Chromosomen zusammen ist 6,2 Milliarden Basenpaare lang. Als Merkregel: Etwa so viele Basen, wie es Menschen auf der Erde gibt. Und wieso spricht man von Basenpaaren? Weil DNA in der Zelle immer als Doppelhelix vorliegt, sich also zwei komplementäre DNA-Stränge umeinander winden, und dabei ein A immer mit T als Partner bindet, und C mit G. Ein Chromosom, so wie man es im Karyogramm sieht, besteht aus zwei identischen DNA-Doppelhelices (Schwesterchromatiden, s.u.), die jedoch so nah beieinander liegen, dass man sie auf dem obigen Bild nicht wirklich unterscheiden kann.

Betrachten wir Chromosom 1 als Beispiel. Von unten bis oben verlaufen etwa 250 Millionen Basenpaare, also 250 Millionen Buchstaben. Dadurch werden etwa 3.000 Gene gebildet. Was ein Gen genau ist, das werde ich mal in einem eigenen Post erzählen, hier reicht es zunächst, wenn wir (etwas vereinfacht) sagen, ein Gen ist die Bauanleitung für ein bestimmtes Protein. Also werden ca. 3.000 der geschätzten 20.000 Gene des Menschen von Chromosom 1 kodiert. Was unter dem Mikroskop wie ein kleines Würmchen aussieht, enthält in Wahrheit also massenhaft (Erb-)Information. Und trotzdem nehmen diese 3000 Gene nur einen geringen Anteil (ca. 1%) der 250 Millionen Basenpaare in Anspruch! Denn die meiste DNA zwischen den Genen hat entweder keine Funktion, oder eine uns unbekannte Funktion. Anders ausgedrückt: Würde man zufällig einen der 250 Millionen Buchstaben ändern (beispielsweise ein C in ein A umschreiben, d.h. eine Mutation generieren), würde diese wahrscheinlich gar nicht in einem Gen liegen, und gar keine Auswirkungen auf die Zelle haben.

Wie man gut erkennt, liegt jedes Chromosom doppelt vor. Zwei Chromosomen der gleichen Nummer werden homologe Chromosomen genannt: sie sind im Prinzip gleich aufgebaut und enthalten weitgehend die gleiche Basensequenz, können sich jedoch an manchen Stellen in Details unterschieden. Sie sind also nicht exakt identisch (dann würde man sie Schwesterchromatiden nennen). Von den homologen Chromosomen erhalten wir jeweils eins von unserer Mutter, und das andere von unserem Vater.

Manchmal lohnt es sich, nur von einem einfachen Chromosomensatz zu sprechen, d.h. dass nicht von jeder Chromosomennummer zwei Chromosomen vorliegen, sondern nur ein Chromosom (also nicht 2×23, sondern 1×23). Dafür braucht man dann auch spezielle Begriffe: Solch einen einfachen Chromosomensatz nennt man haploid, einen doppelten Chromosomensatz (so wie er im obigen Karyogramm abgebildet ist) nennt man diploid. Die allermeisten Zellen im Körper tragen einen diploiden Chromosomenatz. Ausnahmen bilden nur ein paar Zelltypen (z.B. Leberzellen, die mehr Chromosomensätze besitzen können) und Keimzellen, d.h. Spermien und Eizellen, die haploide Chromosomensätze tragen. Denn bei der Befruchtung wird aus den beiden haploiden Chromosomensätzen beider Keimzellen wieder ein diploider Chromosomensatz.

Es gibt tatsächlich auch menschliche Embryonen, die einen triploiden Chromosomensatz besitzen (d.h. drei Chromosomensätze – entsteht, wenn eine Eizelle von zwei Spermien befruchtet wird), die jedoch nicht lebensfähig sind und während der Entwicklung versterben. Manche Tiere sind jedoch tatsächlich von Natur aus polyploid, beispielsweise besitzt eine in der Forschung wichtige Froschspezies, Xenopus laevis, einen tetraploiden (vierfachen) Chromosomensatz. In Pflanzen kommt Polyploidie noch häufiger vor: manche Pflanzen haben sogar einen octaploiden (achtfachen) Chromosomensatz! Das kann die gentechnische Veränderung dieser Pflanzen mitunter deutlich erschweren.

Conclusio

Die 6,2 Milliarden Basen liegen im Zellkern also nicht als ein einzelner DNA-Strang vor, sondern als 46 unterschiedliche Stränge, die zusammen mit Proteinen, die an sie binden, die Chromosomen bilden. Abschnitte der DNA auf den Chromosomen bilden Gene aus, wobei ein Großteil der DNA nicht für Gene kodiert. Damit haben wir einen Grundstein gelegt, uns Erbkrankheiten genauer anzuschauen, und weitere Begriffe zu verstehen, wie “autosomal-dominant” (den ersten Teil verstehen wir schon!), “Allel” und auch “Mutation”, den ich zwar schon verwendet habe, den man allerdings etwas genauer betrachten muss (da tatsächlich zwei Definitionen existieren, die recht wild durcheinander geworfen werden). Dazu aber dann in den kommenden Wochen mehr.

2 Kommentare

  1. Hallo,
    ich möchte an dieser Stelle einmal ein dickes Lob für Deinen Blog loswerden.
    Sehr schön und für Laien verständlich aufbereitete Infos.
    Vielen Dank.
    Auf Deinen Blog bin ich über den „Nachgefragt“ Podcast gestossen.
    Viele Grüße.
    Andi

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert