Als ersten Post möchte ich mir ein Thema vornehmen, das mich während dem Studium schon immer geärgert hat. Wieso sagt man “Blutverdünnung”, wenn man etwas ganz anderes meint? Nämlich die Hemmung der Blutgerinnung!
Es mag durchaus für die ein oder andere ziemlich pedantisch erscheinen, sich an so einer “Kleinigkeit” aufzuhängen. Aber Sprache ist wichtig. Und gerade als Student ist es mir selber schon öfters passiert, dass ich wegen einer ungenauen Formulierung einen Sachverhalt zunächst nicht verstanden habe. Das ist ärgerlich und vermeidbar. Denn bewusst oder auch unbewusst assoziieren wir mit bestimmten Worten immer auch verwandte Begriffe. Nur so kann denken funktionieren: wir denken in Sprache. Nur durch das Lesen des Verbs “gehen” werden in unserem Hirn die gleiche Areale aktiviert, die auch anspringen, wenn wir tatsächlich einige Schritte nach vorne gehen. Mit diesem Phänomen, neuronale Simulation genannt, verleiht unser Gehirn dem Verb “gehen” erst seine Bedeutung, und wir verstehen was gemeint ist. Neurokognitive Wissenschaftler sprechen dabei von “Frames” (engl. frame = Rahmen). Nicht zuletzt ist das Wernicke-Hirnareal, das man insbesondere als Zentrum für das Verstehen von gesprochener und geschriebener Sprache kennt, ebenfalls ein wichtiges Zentrum für die höheren Funktionen, die man unter dem Begriff “Intelligenz” subsumiert. Nicht zuletzt deshalb lege ich, wann immer möglich, Wert auf eine möglichst präzise Sprache. Sprache macht Intelligenz erst möglich.
Wer mehr über die Bedeutung von Frames und Sprache wissen möchte, dem kann ich das Buch “politisches Framing” von Elisabeth Wehling empfehlen.
Man muss sich also gut überlegen, welchen Begriff man verwendet, um einen Sachverhalt zu beschreiben. Verdünnung im chemischen Sinne bedeutet, einer Lösung mehr des Lösungsmittels hinzuzugeben. Mit Blutverdünnung in der Medizin meint man jedoch, dass die Blutgerinnung gehemmt wird. Der Begriff impliziert aber etwas ganz anderes, nämlich dass Blut verdünnt wird, wie wenn man es mit Wasser mischt, und es deswegen besser fließt. Um den Unterschied verstehen zu können, müssen wir uns den Vorgang der Blutgerinnung etwas genauer anschauen.
Wie ist Blut überhaupt aufgebaut?
Unser Blut besteht aus zwei Anteilen: dem zellulären Anteil und dem Blutplasma.
Plasma ist eigentlich nichts anderes als Wasser mit darin gelösten Stoffen. Das sind einmal Ionen wie Natriumionen (Na+), Kaliumionen (K+) oder Chlorid (Cl–). Hier findet sich eine weitere Ungenauigkeit in der medizinischen Alltagssprache. Da fragt man oft nach “dem Kalium” des Patienten, meint aber eigentlich die Plasmakonzentration der Kaliumionen. Denn chemisch gesehen macht es allen Unterschied der Welt, elementares K im Blut zu haben (ein hochreaktives Metall), oder ionisiertes K+ (lebensnotwendig).
Dass einige den Unterschied aber nicht kennen, merkt man z.B. bei Diskussionen über “Fluor” im Trinkwasser. Eigentlich ist damit nämlich wieder das Ion Fluorid (F–) gemeint, das in den im Trinkwasser üblichen Mengen effektiv gegen Karies schützt. Fluor selber ist ein hochreaktives, hochgiftiges Gas (und, fun chemical fact, das Element mit der höchsten Elektronegativität) – so reaktiv, dass es sich in der Natur auch nur als F– findet. Das Argument, elementares Fluor sei giftig und daher ist Fluorid im Trinkwasser schlecht ist in etwa wie wenn ich sage, dass Hauskatzen gefährlich sind weil Tiger große Zähne haben.
Neben Ionen finden sich im Plasma jede Menge anderer biologischen Stoffe: Proteine (z.B. Gerinnungsfaktoren), Hormone (die auch Proteine sein können), Glucose (Traubenzucker), Stoffwechselprodukte, DNA-Fragmente, Antikörper, Fette, ggf. Medikamente und noch viele mehr.
Serum bezeichnet übrigens Blutplasma, dem bestimmte Bestandteile entzogen wurden, so dass es nicht mehr gerinnt, wie z.B. Fibrinogen oder Gerinnungsfaktoren (unten genauer besprochen). Eine Merkregel zur Unterscheidung: “Plasma ist plus Fibrinogen”.
Unter den Blutzellen gibt es drei Typen, die ihren Ursprung alle im Knochenmark haben. Die Erythrozyten (rote Blutkörperchen, oft als Erys abgekürzt) sind mit Hämoglobin (dem roten Blutfarbstoff) gefüllt, das in der Lunge Sauerstoff bindet und ihn im Gewebe wieder abgibt. Erys machen 99% aller Zellen im Blut, und normalerweise etwa 40-45% des Gesamtvolumens aus (der sog. Hämatokrit). Die anderen 1% bestehen aus Leukozyten (weiße Blutkörperchen) und Thrombozyten (Blutplättchen). Leukozyten sind Teil des Immunsystems und können noch weiter unterteilt werden, das werden wir uns an anderer Stelle genauer anschauen. Heute interessieren uns die Thrombozyten, denn sie sind der Zelltyp, der an der Blutgerinnung beteiligt ist.
Erythrozyten und Thrombozyten sind recht spezielle Zellen (wenn man sie denn überhaupt so nennen will), denn beide haben gar keinen Zellkern mehr. Erythrozyten verlieren ihren Zellkern bevor sie aus dem Knochenmark in die Blutbahn “auswandern”, und Thrombozyten sind tatsächlich eigentlich nur Zellfragmente von speziellen Riesenzellen im Knochenmark, die man Megakaryozyten nennt. Thrombozyten sind dementsprechend auch die kleinsten der Blutzellen (ca. 3 µm im Durchmesser).
Die Blutgerinnung (“Hämostase”)
Typischerweise teilt man die Blutgerinnung in zwei Teile ein: die primäre und sekundäre Hämostase. Das impliziert ein bisschen, dass sie nacheinander ablaufen, was allerdings nicht stimmt. Beide Prozesse laufen parallel ab.
Bei primären Hämostase verklumpen Thrombozyten miteinander. Aktiviert wird dieser Prozess, wenn ein Blutgefäß geschädigt wird (z.B. durch eine Nadel bei der Blutentnahme) und der Thrombozyt Kontakt mit der nun freigelegten Zellwand bekommt. Bestandteile dieser Zellwand werden von Rezeptoren auf der Thrombozytenoberfläche erkannt, und signalisieren diesem nun, die sog. visköse Metamorphose zu vollziehen (wäre ein guter Bandname, wie so viele Begriffe in der Medizin. Mein aktueller Favorit ist allerdings “Zytokinsturm”). Die Zelle verändert ihre ursprünglich kugelrunde Form und bekommt Ausläufer, macht sich größer, wie bei einer Katze der sich das Fell sträubt. Zusätzlich wird die Zelle “klebrig”, d.h. bindet mit Rezeptoren auf der Oberfläche an freigelegte Strukturen der Gefäßwand, z.B. an Kollagen. So legt sich eine dicke Schicht von Thrombozyten über den Defekt in der Gefäßwand, und dichtet so das Leck ab. Die Blutung kommt zum Erliegen.
Weil sich bei der primären Hämostase Thrombozyten zusammenlegen und verklumpen, spricht man auch von der Thrombozytenaggregation.
Währenddessen läuft gleichzeitig die sekundäre Hämostase ab. Hier sind eine ganze Reihe an Proteinen im Blutplasma beteiligt, die sich gegenseitig aktivieren und die sog. Gerinnungskaskade aktivieren: ein Protein aktiviert ein weiteres Protein, das wieder ein weiteres Protein aktiviert, und so weiter. Von diesen Proteinen gibt es dreizehn verschiedene, die mit römischen Zahlen durchnummeriert werden. Die wichtigsten haben aber auch Eigennamen. Auch hier gibt die Verletzung der Blutgefäßwand den Startschuss: aus der Gefäßwand wird der sogenannte Tissue factor (“Gewebefaktor” oder Gewebethromboplastin oder auch Faktor III genannt, aber es wird meistens der englische Name verwendet. Proteine haben in der Biologie oft viele unterschiedliche Namen). Dann läuft die Gerinnungskaskade ab, die man hier nicht ausführlich besprechen sollte, da sie ziemlich komplex ist (und leider auch keinen Spaß zu lernen macht). Das folgende Schaubild gibt einen Eindruck, wie das Ganze abläuft.
Am Ende steht auf jeden Fall Faktor X, der (im Zusammenspiel mit Faktor V) das Schlüsselmolekül Prothrombin aktiviert (der Präfix “Pro-” zeigt immer an, dass es sich um eine inaktive Vorform eines Proteins handelt). Thrombin ist jetzt das Enzym, dass die eigentliche sekundäre Hämostase durchführt: es spaltet ein langes Protein, das Fibrinogen (das sich ebenfalls im Blut befindet), in kleinere Unterteile (Fibrin). Einzelne Fibrinmoleküle, die man sich wie kurze Fäden vorstellen kann, lagern sich jetzt aneinander und bilden so ein Netz, das sich über die Verletzung der Gefäßwand legt. In diesem Netz verfangen sich Erythrozyten (und Thrombozyten) aus dem Blut. Der Effekt ist der gleiche, wie bei der primären Hämostase, wobei sich beide gegenseitig verstärken: die Öffnung, durch die Blut aus dem Gefäß austritt, wird so verschlossen.
Da hier Plasmaproteine die entscheidende Rolle spielen, spricht man bei der sekundären Hämostase auch von der plasmatischen Blutgerinnung.
Und was ist jetzt mit der “Blutverdünnung”?
Die Blutgerinnung besteht also aus zwei Teilen, und beide Teile kann man auch medikamentös hemmen. Ein klassisches Medikament, dass die Thrombozytenaggregation hemmt, ist Acetylsalicylsäure (kurz ASS, besser bekannt unter dem Handelsnamen Aspirin). ASS wirkt, indem es die Produktion eines Botenstoffs in den Thrombozyten hemmt, den diese normalerweise während der Aggregation aussenden, um benachbarte Thrombozyten ebenfalls zur viskösen Metamorphose anzuregen. Die plasmatische Blutgerinnung lässt sich durch Heparin (“Thrombosespritze”), Phenprocoumon (Handelsname Marcumar) oder die neuen DOAKs (“direkte orale Antikoagulanzien” – eine segensreiche neue Gruppe an Medikamenten) hemmen. Heparin und DOAKs wirken, indem sie Faktor X und/oder Thrombin hemmen. Dadurch kann das Fibrinnetz nur langsamer generiert werden, und es dauert länger, bis die Blutung zum Erliegen kommt. Phenprocoumon ist ein Vitamin K-Antagonist, und hat einen anderen Wirkmechanismus: Gerinnungsfaktoren werden in der Leber gebildet, und einige von ihnen (Thrombin, VII, IX, X) benötigen für ihre Synthese Vitamin K. Phenprocoumon hemmt nun als Vitamin K-Antagonist deren Synthese, und daraus resultierende verringerte Menge an Gerinnungsfaktoren im Plasma bedeutet auch eine schlechtere Blutgerinnung. Mit dieser Erklärung ist jedoch auch verständlich, wieso Heparin und DOAKs sofort nach Gabe wirken, Phenprocoumon jedoch einige Zeit (Tage bis Wochen) braucht, um seine Wirkung voll zu entfalten: auch wenn die Leber diese Faktoren nicht neu bilden kann, so findet sich im Blut ja noch ein Restbestand.
Aus alledem wird jetzt auch klar, wieso der Begriff Blutverdünnung so irreführend ist. Man könnte sich ja vorstellen, dass eine Verdünnung des Bluts (z.B. durch Mischung mit reinem Wasser) die Konzentration an Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten reduziert, und dann Blutungen deswegen langsamer gestoppt werden (was auch der Fall ist). Aber genau so funktioniert das, was man “Blutverdünnung” nennt, eben nicht. Sondern es wird gezielt die Blutgerinnung gehemmt, entweder auf Ebene der Thrombozytenaggregation (z.B. mit Acetylsalicylsäure), oder auf der Ebene der plasmatischen Gerinnung (z.B. mit Heparin). Dadurch blutet es nach z.B. einer Blutentnahme noch länger als normal. Man nimmt also keine Blutverdünner ein, sondern Gerinnungshemmer.