Die HPV-Impfung – besser als ein Mittel gegen Krebs

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Das “Mittel gegen Krebs” wünschen wir uns alle. Ein Medikament, das gezielt entartete Zellen abtötet und somit eine der gefürchtetsten Erkrankungen der Menschheit eliminiert. Aber wie wir alle wissen, ist Krebs nicht eine einzelne Erkrankung, sondern ein Überbegriff für all die Erkrankungen, die durch unkontrollierte Zellteilung gekennzeichnet sind. Einzelne Krebsarten unterscheiden sich mitunter stark. Die Diagnose eines Pankreaskarzinoms geht mit einer abgrundtief schlechten Prognose einher. Ein Basalzellkarzinom der Haut ist im Vergleich schon fast harmlos, und meistens gut behandelbar. Gegen eine bestimmte Krebsform, nämlich das Zervixkarzinom (Gebärmutterhalskrebs), gibt es jedoch seit etwa 15 Jahren eine hocheffektive, fast nebenwirkungsfreie Möglichkeit der Prävention. Das stellt eine enorme Errungenschaft der modernen Medizin dar, denn das Zervixkarzinom war (vor der Einführung des Pap-Screenings) die häufigste durch Krebs bedingte Todesursache bei Frauen. 2018 war das Zervixkarzinom weltweit immer noch die vierthäufigste Krebsart bei Frauen, und über 300.000 Frauen sind daran gestorben. Trotz alledem ist es erstaunlich, dass diese Prävention nur von einem kleinen Teil der Frauen in Deutschland in Anspruch genommen wird. Es geht um die Impfung gegen humane Papillomviren (HPV).

Was sind humane Papillomviren?

Humane Papillomviren verursachen Tumoren beim Menschen. Das muss nicht immer Krebs sein, sondern auch viele Warzen (auch Genitalwarzen) und andere gutartige Tumoren (z.B. das Kehlkopfpapillom bei Kindern) sind durch HPV bedingt. Man kann viele unterschiedliche Formen von HPV anhand ihrer Erbinformation unterscheiden (sog. Genotypen). Grob kann man kutane HP-Viren (befallen die Haut) von mukokutanen HP-Viren unterscheiden (befallen die Schleimhäute). Übertragen werden die kutanen Viren über Hautkontakt bei kleinen Rissen in der Haut des Empfängers, die mukokutanen Viren werden entweder beim Geschlechtsverkehr oder während der Geburt von der Mutter auf ihr Kind übertragen. HPV ist die vermutlich häufigste sexuell übertragbare Krankheit; Kondome können jedoch vor der Übertragung schützen.

HPV verursacht Krebs

Bei 99,7% aller Zervixkarzinome lassen sich HP-Viren nachweisen. Ohne eine Infektion mit HPV kommt es also quasi nie zur Entstehung dieser Krebsart. Auch ist es so, dass Krebs in der Regel erst im höheren Alter auftritt (wie einer meiner Profs gerne sagt: “je älter, desto Tumor”). Zervixkarzinome fallen allerdings ein wenig aus dieser Regel, denn hier sind schon sehr häufig auch junge Frauen betroffen (meistens zwischen 35 und 60, aber auch in den Zwanzigern kann ein Zervixkarzinom mal auftreten). Das macht die Erkrankung natürlich besonders tragisch, auch unter dem Aspekt, dass man den Krebs (i.d.R. samt Gebärmutter) zwar chirurgisch entfernen kann, die Familienplanung bei so jungen Frauen aber vielleicht noch gar nicht abgeschlossen ist. Was in Diskussionen über die HPV-Impfung auch oft unterschlagen wird, ist die Tatsache, dass HPV auch weitere Krebsformen verursachen kann, die jedoch etwas seltener sind. Dazu gehören Karzinome des Penis, der Vulva und Vagina (ja, da gibt es einen Unterschied), der Analregion, des Rachens und der Speiseröhre. Daraus sollte ersichtlich sein, wieso auch Männer direkt von einer Impfung profitieren. Oft wird jedoch nur kommuniziert, dass durch eine Impfung bei Männern (bzw. Jungen) die Übertragung auf Frauen (bzw. Mädchen) verhindert wird. Mir ist sehr wichtig klarzustellen, dass das Zervixkarzinom zwar die wichtigste Form von Krebs ist, die durch HPV verursacht wird, aber eben bei Weitem nicht die einzige. Insgesamt ist es so, dass ca. 5% (!) aller Krebsfälle überhaupt durch humane Papillomviren verursacht werden.

Die HPV-Impfung

Die Impfung gegen HPV wird in Deutschland von der ständigen Impfkommission (STIKO) seit 2007 für Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren empfohlen. Mittlerweile wurde diese Empfehlung ausgeweitet, und es sollen alle Mädchen und Jungen im Alter von 9-14 Jahren geimpft werden. Die Idee dahinter ist, dass durch die Impfung nur eine Neuinfektion verhindert werden kann. Hat sich das Virus schon in der (Schleim-)Haut etabliert, dann kann es auch mit der Impfung nicht mehr eliminiert werden. Die Impfung wirkt also rein präventiv.

Es finden sich mehrere Impfstoffe, die sich in der Anzahl an Genotypen unterscheiden, gegen die sie wirken. Der Zweifachimpfstoff (Cervarix) wirkt gegen HPV 16 und 18. Das sind die sog. Hochrisikoviren, die zusammen ca. 70% aller Zervixkarzinome (und andere Krebsarten) verursachen. Beim Vierfachimpfstoff (Gardasil 4) kommen zusätzlich zu diesen beiden noch die Genotypen 6 und 11 hinzu, die zusammen ca. 90% aller Genitalwarzen verursachen (kein Krebs, aber trotzdem schön wenn man sie vermeiden kann). Und der Neunfachimpfstoff (Gardasil 9) enthält noch fünf weitere Genotypen, die auch Krebs auslösen (wenn auch seltener als HPV 16 und 18). So können ca. 90% aller Zervixkarzinome verhindert werden. Hautwarzen werden übrigens durch keinen dieser Impfstoff verhindert.

Je mehr Leute sich impfen lassen, desto weniger werden diese Viren auch verbreitet. Australien will das erste Land sein, das mit Impfung und Pap-Screening das Zervixkarzinom (fast) vollständig eliminiert. Die WHO hat ähnlich ambitionierte Ziele mit der gesamten Welt.

Die Studienlage

Am 01. Oktober 2020 ist eine neue Studie im New England Journal of Medicine erschienen. Das NEJM ist eines der renommiertesten Journale, die sich auf Medizin fokussieren. In dieser Studie wurde zum ersten Mal im großen Maßstab gezeigt, dass die HPV-Impfung invasive Zervixkarzinome verhindert. Jetzt mag sich einer fragen, wie das denn sein kann, wenn man schon seit mehr als 10 Jahren dagegen impft. Die Antwort liegt darin begründet, dass sich ein Zervixkarzinom über viele Jahre und Jahrzehnte entwickelt (wie übrigens eigentlich alle Krebsarten). Das Zervixkarzinom macht das über definierte Vorstufen: noch bevor sich wirklich der “vollwertige” Krebs ausgebildet hat, lassen sich unter dem Mikroskop schon Veränderungen der Schleimhaut beobachten (die als “cervicale intraepitheliale Neoplasie” (CIN) 1-3 bezeichnet werden, je nach Ausprägungsgrad). Das ist auch das, was man beim Pap-Screening untersucht. Da nimmt man einen Abstrich des Gebärmutterhalses und schaut sich die Zellen unter dem Mikroskop an. Der Pathologe erkennt dann, ob es sich um normale Zellen handelt oder um solche, die schon auf dem Weg zur Krebszelle sind. In den initialen Studien zur Wirksamkeit der Impfung hat man sich daher nicht angeschaut, ob die Impfung ein Zervixkarzinom selber verhindert (da die Studienzeit dann viel zu lang sein müsste), sondern ob sie die Ausbildung dieser Vorstufen verhindert (ein sogenannter Surrogat-Parameter), die eben schon deutlich früher auftreten. Surrogat-Parameter können in klinischen Studien manchmal heikel sein. Untersucht man z.B. ein neues Blutdruckmedikament, dann reicht es nicht aus nur zu zeigen, dass es den Blutdruck absenkt. Man muss auch zeigen, dass es wirklich ein “hartes” Outcome, wie z.B. Herzinfarkte oder den Tod verhindert. Denn nehmen wir an, das Medikament würde z.B. auch stark toxisch auf die Leber wirken. Dann würde es zwar den Blutdruck senken, aber insgesamt hätte es keinen Nutzen, da zwar Herzinfarkttode verhindert werden, jedoch mehr Leute am Leberversagen sterben. Das würde man in so einer Studie nicht sehen, wenn man nur auf den Blutdruck schaut. (Das Beispiel ist natürlich etwas künstlich, da man sich in einer Studie natürlich Nebenwirkungen wie Lebertoxizität anschaut. Es soll nur illustrieren, wieso Surrogat-Parameter problematisch sein können.)

Im Falle des Zervixkarzinoms ist der Zusammenhang zwischen den Vorläuferläsionen (insb. der CIN Grad 3) und der Erkrankung jedoch so gut nachgewiesen, dass es für den Wirknachweis der Impfung ausreicht, wenn sie diese Vorstufen verhindert. Die Studie vom Oktober ist deswegen wichtig, da sie bestätigt, dass diese Annahme auch wirklich zutrifft. Da waren wir uns zwar davor schon sehr sicher, aber in der Wissenschaft ist es immer gut, wenn man auch kleine Unsicherheiten nochmal untersucht und sich doppelt und dreifach absichert.

Zusätzlich hat diese Studie noch eine weitere Erkenntnis gebracht. Es wurde auch der Effekt untersucht, wenn erst im Alter zwischen 17 und 30 geimpft wird. Auch hier lässt sich noch eine Reduktion der Zervixkarzinome um ca. 50% feststellen (die jedoch niedriger ist als die Reduktion von ca. 90% wenn vor dem 17. Lebensjahr geimpft wird). Auch das deckt sich sehr schön mit dem, was wir über das Virus wissen: Mit höherem Alter haben sich auch schon mehr Frauen mit dem (sexuell übertragbaren) Virus infiziert, und die Impfung kommt daher bei diesen Frauen zu spät.

Einen kleinen Vorbehalt muss man zu dieser Studie noch anmerken. Es handelt sich dabei um eine retrospektive Studie, also keine klinische, randomisierte Doppelblindstudie, die als Goldstandard gilt, um den Nutzen medizinischer Interventionen zu beurteilen. Bei einer retrospektiven Studie kann es immer auch einige Störgrößen geben, die man nie ganz vermeiden kann. Wer sich also fragt, ob es nicht auch höherwertige Evidenz gibt, die die Wirksamkeit der HPV-Impfung belegt, der sei an dieser Stelle z.B. an ein systematisches Review der Cochrane Collaboration verwiesen. Auf die Unterschiede dieser Studientypen werde ich in anderen Beiträgen noch genauer eingehen.

Conclusio

Die HPV-Impfung ist eigentlich absolut genial. Spezifische Nebenwirkungen konnten trotz intensiver Überwachung nie kausal nachgewiesen werden. Anaphylaktische Reaktionen sind wie bei jedem Impfstoff zwar möglich, aber enorm selten (2 Fälle pro 1 Million Impfungen). Der Nutzen überwiegt die minimalen Risiken um ein Vielfaches. Trotzdem sind die Impfraten in Deutschland abyssal schlecht. Zwar steigt die Impfrate jedes Jahr ein wenig an, trotzdem waren Ende 2018 nur 43% der 15-Jährigen Mädchen vollständig gegen HPV geimpft. Bei den Jungen sieht es noch schlechter aus, auch weil erst 2018 die Impfempfehlung auf sie ausgeweitet wurde. Es besteht also noch jede Menge Aufklärungsarbeit, die eigentlich von einer PR-Perspektive nicht schwer zu machen sein sollte. Denn die HPV-Impfung ist wortwörtlich besser als ein Mittel gegen Krebs! Würden wir uns als Kinder alle impfen lassen, dann könnten wir nur mit dieser einfachen Intervention schon jeden 20. Fall von Krebs jeglicher Art verhindern.

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