Akupunktur, Teil 2 – Traditionelle chinesische Medizin ist keine hundert Jahre alt

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Im zweiten Teil der Serie machen wir einen kurzen Ausflug in die Geschichte. Wer nicht auf die restlichen Artikel warten will, der kann sich jetzt schon die neuste Folge des Nachgefragt-Podcasts anhören, in der ich über Akupunktur rede.

Nicht so alt wie oft geglaubt

Es scheint nicht klar zu sein, wie lange Akupunktur schon praktiziert wird. Viele Quellen sprechen von vielen Jahrtausenden, aber liefern keine überzeugenden Belege dafür. Dass Nadeln (mit wenig Ähnlichkeit zu den hauchdünnen modernen Akupunkturnadeln) jedoch in China schon lange (viele Jahrhunderte) zu therapeutischen Zwecken eingesetzt wurden, scheint jedoch nicht unplausibel. Vermutlich entstand die Benutzung von Nadeln aus einer Form des Aderlasses heraus, der selber stark von astrologischen Überlegungen geprägt war. Es wurden z.B. zwölf Meridiane für die zwölf Monate postuliert, und die Begriffe für die fünf Elemente sind die gleichen, wie sie auch für die fünf mit dem Auge sichtbaren Planeten (Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn) verwendet werden. Ursprünglich wurden dafür auch gar keine Nadeln, sondern Lanzetten verwendet. Auch in Europa wurden Akupunktur-ähnliche Verfahren mindestens schon einige Jahrhunderte angewendet. Dass die Akupunktur, zumindest in einer ähnlichen Form wie heute, nicht so alt sein kann wie oft behauptet wird (tausende Jahre) wird gut dadurch belegt, dass es bis vor etwa 400 Jahren technisch gar nicht möglich war, solch dünne Stahlnadeln herzustellen, wie sie für die Akupunktur benötigt werden. Auch liegt es nahe, dass Akupunktur in China nicht unabhängig von der restlichen Welt entwickelt wurde. Ideen und Vorstellungung über Krankheiten und deren Behandlung wurden über Länder und Kontinente hinweg ausgetauscht. Astrologie und Aderlässe waren weit verbreitet, und eine Ähnlichkeit zur in Europa prominenten Viersäftelehre ist nicht unbedingt Zufall.

Akupunktur wurde aber auch nicht immer gleich durchgeführt, und war nicht immer gleich populär. Historisch wurden neun verschiedene Arten von “Nadeln” verwendet, von denen manche eher Skalpelle, Ahlen oder Kauter darstellten, und nur einige davon den dünnen Nadeln ähnelten, die man heutzutage mit Akupunktur assoziiert. Dugald Christie, ein schottischer Chirurg, hielt die Eindrücke seines dreißigjährigen China-Aufenthalts um 1900 herum in einem Buch fest. Er berichtete davon, dass Nadeln oft glühend heiß verwendet wurden, bis tief in innere Organe (und große Blutgefäße) inseriert wurden, teilweise Stunden bis Tage belassen wurden und generell unsauber waren. Mit moderner Akupunktur hat das alles nur wenig zu tun. Auch Akupunkturpunkte lagen nicht immer an den gleichen Stellen, sondern wurden u.a. um 1930 herum weg von den Blutgefäßen, über denen sie traditionellerweise lagen, hin über die Verläufe von Nerven verlegt, unter der Annahme, dass sie in Zukunft durch die Neurologie erklärt werden könnten. Federführend war hier ein chinesischer Pädiater namens Cheng Dan’an.

Der Ursprung der modernen Akupunktur

Die Beliebtheit der Akupunktur undulierte über die Zeit hinweg, und zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Akupunktur wieder auf einem Tiefpunkt angekommen, und sogar kurz davor in Vergessenheit zu geraten. Sowohl in Europa als auch in China selbst. Ihre Renaissance kam unter Mao Zedong in den 1950- und 1960ern. Im Zuge seiner Revolution herrschte ein Mangel an ausgebildeten Ärzten, welche die Gesundheitsversorgung seines Landes sicherstellen konnten. Um diesen Mangel zumindest dem Anschein nach zu beheben, ließ er die Vielzahl traditioneller Heilmethoden, die in China zu dieser Zeit praktiziert wurden, vereinheitlichen und mit einem gemeinsamen theoretischen Konstrukt unterfüttern, einem Schmelztiegel der bis dahin vorhandenen Vorstellungen und Erklärungsansätze. Manche Ideen (wie das Qi als Lebensenergie) wurden hervorgehoben, andere – wie zum Beispiel der weit verbreitete Glaube an Dämonen, deren Exorzismen, und Astrologie – aus marketingtechnischen Gründen weggelassen. So konnte Mao seinem Volk die so entstandene “traditionelle” chinesische Medizin (ein Begriff, der auch erst zu dieser Zeit geprägt wurde) als Alternative zu einer konventionellen (“westlichen”) Medizin anbieten. Mao selber (überliefert durch seinen Leibarzt) glaubte jedoch nie an ihre Wirksamkeit, aber sah sie als nützliche Methode das Volk zu befrieden, und zusätzlich auch dessen Nationalstolz anzukurbeln. Diese Wirkung hat die TCM bis heute noch, was später bei Betrachtung der Studienlage zur Akupunktur noch relevant wird.

1971, ein Jahr vor Präsident Nixons historischer Reise nach China, fuhr Henry Kissinger, begleitet von einer Reihe Journalisten, ebenfalls nach China, um Nixons Besuch vorzubereiten. Einer dieser Journalisten, James Reston, musste dort aufgrund einer Appendizitis (die sog. Blinddarmentzündung) operiert werden. Nach der OP ließ er seine (leichten) Bauchschmerzen mit Akupunktur behandeln, mit seiner Ansicht nach so großem Erfolg, dass er nach seiner Rückkehr einen Artikel in der New York Times darüber publizierte (“Now, About My Operation in Peking”). Eine häufige Darstellung in anderen Medien, dass die Narkose für seine Appendektomie nur mittels Akupunktur durchgeführt wurde, ist daher eindeutig falsch. Wie dem auch sei, damit begann der erneute Aufschwung der Akupunktur in Nordamerika und Europa. Weiter angekurbelt wurde dieser durch Berichte über große (Herz-)Operationen, bei denen die Anästhesie durch Akupunktur erfolgte, zum großen Erstaunen der diesen OPs beiwohnenden amerikanischen Ärzten. Wie sich hinterher herausstellte war Akupunktur jedoch nicht das einzige Analgetikum dieser Patienten. Unter anderem kamen auch Opioide, Benzodiazepine, Neuroleptika und Lokalanästhetika zum Einsatz, die alle stark analgetisch und/oder sedierend wirken. Von einer wundersamen Wirkung der Akupunktur kann also nicht die Rede sein.

Fazit

Akupunktur wurde keineswegs seit Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden so praktiziert wie heute, auch wenn man solche Behauptungen immer wieder liest. Ganz im Gegenteil haben die alten Praktiken mit der heutigen Anwendung vermutlich nur wenig gemeinsam.

Quellen:

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