Die Influenza, Teil 3 – Schweinegrippe-Impfung und Narkolepsie

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In Teil 1 und Teil 2 über die Influenza habe ich bereits über das Grippevirus, die Grippeimpfung, die jedes Jahr neu an die zirkulierenden Virusstämme angepasst wird, und die Forschung an universellen Influenzaimpfungen berichtet, die das Potential haben, lebenslang gegen alle Typen und Varianten des Influenzavirus schützen zu können. Schuldig geblieben bin ich damals den Teil 3, in dem es um die Grippepandemie 2009/2010 ging, die sog. Schweinegrippe, und was es mit der Narkolepsie als Nebenwirkung einer der damals entwickelten Impfungen auf sich hat.

Die “Schweinegrippe”

Wie schon in Teil 1 erwähnt, ist die Bezeichnung eigentlich irreführend. Es handelte sich eben nicht um ein Virus, das Schweine infiziert und Schweine krank macht, sondern um ein humanpathogenes Influenzavirus, das in Schweinen entstanden ist. Damals wurde als besserer Begriff von der “neuen Grippe” gesprochen; ich werde jedoch weiterhin von der Schweinegrippe reden, auch wenn der Begriff eigentlich unsauber ist – aber über 10 Jahre nach der Pandemie ist die “neue Grippe” auch kein treffenderer Begriff, und leider hat sich Schweinegrippe als Begriff gehalten.

Ihren Ursprung hatte die Pandemie im April 2009 in Mexiko, von wo sie sich über die gesamte Welt durch Mensch-zu-Mensch-Übertragung ausbreitete. Das Virus war eine H1N1-Variante – die gleiche Kombination aus Hämagglutinin und Neuraminidase, die auch schon das Virus der spanischen Grippe von 1918/19 trug. Für beendet erklärt wurde die Pandemie im August 2010 durch die WHO. Die weltweiten Todeszahlen lagen mit geschätzten 150.000-400.000 etwas unter einer typischen Grippesaison (250.000-650.000). Im Nachhinein betrachtet hat sich das pandemische Virus also sogar als etwas weniger gefährlich als die sonst zirkulierenden Grippeviren erwiesen. Jedoch war das Altersprofil der Verstorbenen verschoben: Wohingegen bei einer “normalen” Grippe hauptsächlich alte Patienten versterben, gab es hier einen Peak bei jüngeren Patienten. Erklärt wird dieses Phänomen mit der Tatsache, dass das Virus der spanischen Grippepandemie von 1918/19 noch als epidemisches Virus bis 1957 zirkulierte, als es von einem neuen pandemischen Virus “abgelöst” wurde. Wer also 2009 älter als 52 Jahre war, hatte vermutlich als Kind schon Kontakt mit dem damaligen H1N1-Virus (der spanischen Grippe), und war durch diesen Immunschutz auch gegen das neue H1N1-Virus (der “Schweinegrippe”) geschützt – zumindest teilweise. Wer jünger als 52 war, dessen Immunsystem hatte also noch keine Erfahrungen mit H1N1 gemacht, wodurch die Infektion häufiger auch tödlich verlief.

Die Impfung, und kann sie Narkolepsie auslösen?

Wieso ist es interessant, über diese Pandemie zu reden? Meistens wird sie im Kontext einer Diskussion über mögliche Nebenwirkungen von Impfungen erwähnt. Denn ein Impfstoff, der gegen Ende von 2009 eingesetzt wurde, um gegen das neue Grippevirus zu schützen, geriet später in den Verdacht, eine seltene Autoimmunerkrankung auszulösen: die Narkolepsie.

Die Narkolepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch übermäßige Müdigkeit und Einschlafattacken gekennzeichnet ist. Es können zwei Formen unterschieden werden: Typ 1 und Typ 2. Beim Typ 1 kommt es zum Verlust eines Hormons, des Hypocretins, das an der Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus beteiligt ist. Zusätzlich kommt beim Typ 1 das typische Symptom der Narkolepsie vor, die Kataplexie, die den Verlust des Muskeltonus bei emotionalen Zuständen (bspw. Lachen) beschreibt. Die Betroffenen sacken dann in solchen Situationen einfach zusammen, sind aber noch bei vollem Bewusstsein; je nachdem kann so eine Kataplexie wenige Sekunden oder einige Minuten andauern. Die Krankheit nimmt einen chronischen Verlauf und kann nicht geheilt werden; sie verläuft zwar nicht tödlich, kann die Lebensqualität je nach Ausprägung aber mitunter drastisch beeinträchtigen.

Insgesamt wurden in Europa acht Impfungen gegen die neue Grippe zugelassen. Eine davon war Pandemrix (Hersteller GlaxoSmithKline), für die später der erwähnte Zusammenhang zur Narkolepsie hergestellt wurde. Pandemrix bestand aus dem Hämagglutinin des neuen Grippevirus und einem Adjuvans (das u.a. Squalen und eine Form von Vitamin E enthielt). Nach den Impfungen wurde ein statistischer Zusammenhang mit dem Auftreten einer Narkolepsie, insb. bei Kindern und Jugendlichen beobachtet. Das Risiko war um ca. das 12-fache erhöht, was einem Narkolepsiefall auf ca. 18.000 Pandemrix-Impfungen entspricht.

Wichtig ist an dieser Stelle zu erwähnen: dieser Zusammenhang ist zunächst einmal eine reine Korrelation, d.h. nach der Impfung traten vermehrt Fälle von Narkolepsie auf. Ob auch ein kausaler Zusammenhang vorliegt, d.h. diese Fälle auch durch die Impfung bedingt waren, ist damit noch nicht erwiesen. Am besten könnte man so etwas durch eine randomisierte Doppelblindstudie (RCT) herausfinden; retrospektiv kann man eine solche aber nicht mehr durchführen. Es bleibt also nur noch, die Rate an Narkolepsiefällen nach Impfung mit der Rate an Narkolepsiefällen, die generell in der Population vorkommen, zu vergleichen. Und hier zeigt sich, wie schon erwähnt, eine deutliche Steigerung der Inzidenz nach der Impfung mit Pandemrix. Ist damit also gezeigt, dass Pandemrix Narkolepsie verursacht?

Nun, bis jetzt habe ich die Situation etwas vereinfacht dargestellt. So klar wie eben beschrieben zeigt sich die Situation nur in Schweden. In anderen Ländern hat man keine so deutliche oder gar keine Assoziation der Impfung mit der Narkolepsie beobachten können, beispielsweise in den Niederlanden. In Kanada wurde ein sehr ähnlicher Impfstoff verwendet (Arepanrix, Hersteller ebenfalls GlaxoSmithKline), der sich nur in der Herstellungsart etwas unterschied – und bei dem keine Verbindung mit der Narkolepsie beobachtet werden konnte. In China und Taiwan wurde eine ganz andere Beobachtung gemacht: Hier gab es keine Korrelation zwischen Narkolepsie und Impfung, sondern zwischen der natürlichen Infektion und der Narkolepsie!

Was bedeutet das denn nun?

Leider ist die Frage, inwiefern eine Impfung gegen die “Schweinegrippe” von 2009/10 zur Ausbildung einer Narkolepsie führen kann, weiterhin nicht abschließend geklärt. Die Daten sind widersprüchlich: Wohingegen in Schweden ein klarer Zusammenhang gezeigt werden kann, findet sich in anderen Ländern und mit sehr ähnlichen Impfstoffen keine Korrelation. In anderen Ländern zeigt sich eine Korrelation nur bei der natürlichen Infektion, nicht jedoch bei der Impfung. Auszuschließen (im Sinne einer niedrigen A priori-Wahrscheinlichkeit) ist ein Zusammenhang sicherlich nicht: es ist durchaus plausibel, dass eine Immunreaktion gegen ein Impfantigen auch fälschlicherweise gegen ein körpereigenes Antigen gerichtet werden könnte – der Mechanismus der molekularen Mimikry. Eine Sache lässt sich aber trotzdem sagen: Auch wenn sich die Schweinegrippe im Nachhinein als weniger gefährlich herausgestellt hat als ursprünglich angenommen, so war das Risiko der Erkrankung doch immer noch größer als das Risiko einer Narkolepsie-Erkrankung. Trotzdem ist eine weitere wissenschaftliche Untersuchung dieses Phänomens, insb. des zugrundeliegenden immunologischen Mechanismus unbedingt notwendig, denn ggf. könnte man das Risiko solcher Nebenwirkungen bei zukünftigen Impfstoffen minimieren. In jedem Fall würden wir etwas über Autoimmunerkrankungen lernen, die in vielen Aspekten immer noch nicht ausreichend verstanden sind. Und vielleicht würde sich so auch eine bessere Therapieoption für all diejenigen ergeben, die aktuell an einer Narkolepsie leiden – ob nun durch Pandemrix verursacht oder nicht.

Quellen:

  • Edwards et al. 2019 Narcolepsy and Pandemic Influenza Vaccination. The Pediatric Infectious Disease Journal
  • Weibel et al. 2018 Narcolepsy and adjuvanted pandemic influenza A (H1N1) 2009 vaccines. Vaccine
  • Sarkanen et al. 2017 Incidence of narcolepsy after H1N1 influenza and vaccinations – SR and meta-analysis. Sleep Medicine Reviews
  • Kornum et al. 2017 Narcolepsy. Nature Reviews Disease Primers

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