Die Influenza, Teil 2 – Impfungen von heute und morgen

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Nachdem wir im ersten Teil geklärt haben, dass die Influenza eine ernstzunehmende Erkrankung ist, schauen wir uns heute an, was man denn gegen sie machen kann.

Medikamente

Der Vollständigkeit halber erwähne ich, dass es zwei Gruppen an Medikamenten gibt, die zur Therapie der Influenza verwendet werden können. Die Adamantane hemmen das M2-Protein, welches das Virus braucht, um in seine Wirtszelle eindringen zu können. Dagegen liegen aber schon flächendeckende Resistenzen vor, so dass es praktisch nutzlos ist. Die andere Medikamentengruppe hemmt die Neuraminidase, die – wie schon erwähnt – dazu benötigt wird, dass neue Viruspartikel beim Verlassen der Zelle nicht am Rezeptor “kleben” bleiben. Ob diese Medikamente wirklich einen Mehrwert besitzen wird diskutiert – klar ist die Datenlage keinesfalls. Wenn überhaupt, dann müssten sie schon sehr früh im Krankheitsverlauf appliziert werden, also wenn man noch gar nicht weiß, ob der Betroffene überhaupt schwer erkrankt. Und auch dann bilden sich schnell Resistenzen aus, denn Influenzaviren zeigen eben eine rasche Mutationsrate. Wohingegen diese Medikamente zu Beginn einer Pandemie womöglich einen gewissen Nutzen haben können, sind sie weit davon entfernt, das Influenzaproblem lösen zu können.

Herkömmliche Influenza-Impfungen

Damit wir die universellen Influenzaimpfungen verstehen können, müssen wir uns erst einmal mit den aktuell verfügbaren Impfungen befassen. Das sind nämlich etwas untypische Impfstoffe – da sie eben jedes Jahr neu entwickelt, hergestellt und verimpft werden müssen.

Wie wird eine Influenzaimpfung hergestellt?

Um jährlich hunderte Millionen Impfdosen produzieren zu können, wird das Virus in befruchteten Hühnereiern vermehrt. Dabei werden zunächst einmal von der WHO die Impfviren ausgesucht, die vermutlich in der nächsten Saison zirkulieren werden. Die Gensegmente dieser Viren, die für das Hämagglutinin (HA) und die Neuraminidase (NA) kodieren, werden jetzt in einem künstlichen Reassortment mit den restlichen sechs Gensegmenten eines “Hühnerei-Influenzavirus” kombiniert. Letzteres vermehrt sich eben besonders gut in Hühnereiern. Das so entstandene Impfvirus exprimiert auf der anderen Seite die gewünschten Impfantigene, nämlich die entsprechenden Formen von HA und NA, und vermehrt sich auch gut in Hühnereiern. Dieses Virus wird nun in großen Mengen produziert, aufgereinigt, inaktiviert und dann nach HA-Gehalt in einzelne Impfdosen abgefüllt. Durch die Inaktivierung wird dieser Impfstoff zu einem Totimpfstoff, denn danach können sich die Viren nicht mehr vermehren. Das Hauptantigen, gegen das mit diesem Impfstoff eine Immunantwort generiert wird, ist das HA. Insbesondere ist hier die Generierung von neutralisierenden Antikörpern das Ziel der Impfung, also Antikörpern, die an das Virus binden und verhindern, dass es eine Zelle infizieren kann.

Ein Problem dieses Ansatzes ist es, dass das Impfvirus durch die häufige Replikation in Hühnereiern mutieren kann, und so die Übereinstimmung mit dem zirkulierenden Virus eingeschränkt werden kann. Aktuell ist es aber so, dass eine derart große Menge an Impfstoff durch kaum eine andere Technologie produziert werden könnte, und das auch nicht zu einem solch niedrigen Preis, der essentiell ist, um den Impfstoff auch in ärmeren Ländern einsetzen zu können.

Neben diesem klassischen Herstellungsverfahren gibt es auch Herstellungsverfahren in Zellkulturen, die z.B. bei einer (schweren) Hühnereiweißallergie eingesetzt werden können. Außerdem gibt es auch Lebendimpfstoffe mit Influenzaviren, die manchmal bei Kindern eingesetzt werden. Aufgrund widersprüchlicher Daten zur Wirksamkeit werden Letztere in den USA nicht mehr eingesetzt, in Europa schon noch, aber sie haben insgesamt keine allzu große Relevanz.

Wie gut ist die Wirksamkeit?

Es gibt zwei Antworten auf diese Frage. Die kurze ist: Die Wirksamkeit wird auf 40-60 % geschätzt, wenn das Impfvirus gut zum zirkulierenden Virus passt. Also deutlich niedriger als andere Impfungen, die wir so gewohnt sind (z.B. gegen Tetanus oder die Masern-Mumps-Röteln-Impfung). Die längere ist etwas komplizierter.

Das Problem ist nämlich, dass es gar nicht so einfach ist, die Effektivität der Influenzaimpfungen zu berechnen. Denn eigentlich braucht man dafür eine randomisierte Doppelblindstudie (RCT, engl. randomized controlled trial), also den Goldstandard, um eine medizinische Intervention zu untersuchen. Denn nur in der RCT gibt es eine Kontrollgruppe, die sich in einem einzigen Faktor von der Impfgruppe unterscheidet: sie wird nämlich genau nicht geimpft (bzw. genauer: sie wird mit einer inerten Substanz geimpft, meistens einer Kochsalzlösung). Das ist aber aus Zeitgründen nicht möglich, wenn jedes Jahr ein neuer Impfstoff entwickelt werden muss. Die Alternative zur RCT sind sog. epidemiologische Studien, von denen es mehrere Arten gibt, die aber alle das Problem haben, dass ihre Kontrollgruppe nie so perfekt ist, wie die der RCT. Denn in der Medizin gilt wie in jeder Wissenschaft: Ein Experiment ist nur so gut wie seine Kontrollgruppe. Die epidemiologische Methode, mit der man die Effektivität der Influenzaimpfung untersucht, ist das sog. Test-negative Design (TND). Dabei werden (retrospektiv, also nachdem das Ereignis schon eingetreten ist) Patienten betrachtet, die wegen einer (im Labor nachgewiesenen) Influenzainfektion ins Krankenhaus eingewiesen wurden, und dann verglichen, ob sie sich diese Saison gegen die Influenza haben impfen lassen oder nicht. Die Nichtgeimpften bilden hier also die Kontrollgruppe. Dabei entstehen jedoch einige der schon angesprochenen Probleme.

Denn beispielsweise könnten sich Menschen, die besonders auf ihre Gesundheit achten, eher impfen lassen. So jemand wird aber vermutlich auch weniger Vorerkrankungen, und damit ein geringeres Risiko für einen schweren Verlauf haben. In so einer Studie würde die Impfung dann aber als “zu gut” bewertet werden, da die geringere Anzahl schwerer Verläufe bei Geimpften nicht durch die Impfung bedingt ist, sondern durch deren allgemein besseren Gesundheitszustand. Andersherum könnte es auch sein, dass sich besonders Risikogruppen impfen lassen (z.B. Patienten mit Lungenerkrankungen oder Herzinsuffizienz), die dann natürlich häufiger schwere Verläufe bekommen. In Einzelfällen kommt in solchen Studien sogar heraus, dass Geimpfte ein höheres Risiko haben als Nichtgeimpfte! Das ist dann ein eindeutiges Beispiel dafür, dass solche Biases das Ergebnis völlig verzerrt haben. Man muss epidemiologische Studien, im Gegensatz zu den RCTs, also deutlich kritischer betrachten. Ich möchte jetzt jedoch auch nicht den Eindruck erwecken, dass sie gänzlich wertlos wären. Viele dieser Störgrößen kann man mittels statistischer Methoden “rausrechnen”. Aber es findet sich eben viel mehr Rauschen in den Daten, und es braucht daher auch viel mehr Untersuchungen, um belastbare Aussagen treffen zu können. Und natürlich gibt es auch hier gute und schlechte Studien (wie bei den RCTs übrigens auch – nicht jede RCT ist auch etwas wert). Dass Rauchen auf vielerlei Arten gesundheitsschädigend ist, hat man zum Beispiel durch epidemiologische Studien herausgefunden – obwohl es auch hier eine ganze Weile gedauert hat, bis sich diese Erkenntnis durchgesetzt hat.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Influenzaimpfung keine so überragende Effektivität hat, wie man das von anderen Impfungen gewohnt ist. Trotzdem ist sie aktuell das beste Präventionsmittel, das wir haben. Da die Nebenwirkungsrate – wie bei allen zugelassenen Impfungen – sehr gering ist, ist das Nutzen/Risiko-Verhältnis auch hier deutlich positiv.

Sollte ich mich impfen lassen?

Die STIKO (ständige Impfkommission; also das Gremium, das die Impfempfehlungen für Deutschland erarbeitet) empfiehlt derzeit eine jährliche Influenzaimpfung für folgende Zielgruppe: Personen >60 Jahren; Menschen mit chronischen Grunderkrankungen und alle jenen, die regelmäßig Kontakt zu diesen haben; Bewohner von Alten- und Pflegeheimen, medizinisches Personal; Menschen, die mit vielen anderen Personen Kontakt haben; und Schwangeren. Also eigentlich: irgendwie fast jeder. Ich für meinen Teil lasse mich schon seit Längerem jedes Jahr impfen. Zusätzlich zum Schutz für die eine Saison ist es nicht undenkbar, dass durch regelmäßige Impfungen eine Art “Grundimmunität” auch gegen andere Influenzaviren aufgebaut werden kann. Es sollte sich also jeder überlegen, im Herbst nicht vielleicht doch kurz beim Hausarzt vorbeizuschauen, um sich einen kurzen Piks abzuholen. Trotzdem ist es erschreckend zu sehen, dass die Impfrate in Deutschland bei den über-60-Jährigen seit mehr als zehn Jahren kontinuierlich nach unten geht (und bei durchschnittlich nur 35 % liegt).

Eine schöne Zusammenfassung über die Impfung bietet das RKI mit dieser Infografik.

Universelle Influenza-Impfungen

Unter einer universellen Influenzaimpfung (UII) versteht man eine Impfung, die gegen möglichst alle Influenza-Typen gleichmäßig wirkt. Das hätte zwei große Vorteile: Zum einen müsste man eine solche Impfung nicht jedes Jahr wiederholen. Zum anderen wäre man dadurch auch gegen mögliche pandemische Viren geschützt, und könnte ggf. zukünftige Influenza-Pandemien (die, wie schon öfters erwähnt, regelmäßig vorkommen) komplett verhindern. Aktuell sind solche Impfungen noch in der Entwicklungsphase, könnten aber mit etwas Glück in den nächsten Jahren verfügbar werden.

Das Problem dabei, und mögliche Lösungen

Wie soeben erwähnt ist das Haupt-Antigen der bisherigen Impfung das Hämagglutinin, und zwar genauer gesagt der Kopfbereich, der im Rahmen des Antigendrift stark mutiert. Es gibt noch einen Stielbereich des Proteins (wenn man es sich grob als einen Pilz vorstellt), der deutlich weniger mutiert und sich zwischen Influenzatypen recht ähnlich ist (man nennt ihn “konserviert”). Gegen den Stiel wird aber mit den aktuellen Impfstoffen kaum eine Immunantwort ausgebildet. Studien mit monoklonalen Antikörper, die gegen den Stiel gerichtet sind, zeigen jedoch eine breite Wirksamkeit gegen Typ A- und Typ B-Influenzaviren – also genau das, was man mit einer UII bezwecken will. Wie man es jetzt jedoch erreicht, das genau gegen diesen Teil eine Immunantwort gebildet wird, ist eben der Gegenstand aktueller Forschung. Tatsächlich läuft derzeit auch schon eine klinische Studie der Phase 3, bei der mit neun konservierten Antigenen geimpft wird. Die Veröffentlichung der Ergebnisse wurde auf Dezember 2020 geschätzt, die Studie dürfte also bald publiziert werden. Man darf gespannt sein, ob diese erste Studie bereits Erfolge vorweisen kann. Wenn nicht: Es werden gerade viele verschiedene Ansätze in unterschiedlichsten Stadien der Impfstoffentwicklung erprobt. In den kommenden Jahren werden wir also sicherlich noch mehr von universellen Grippeimpfstoffen hören.

Neben dem Hämagglutinin-Stiel wird auch die Neuraminidase und das M2-Protein als potentielles Target untersucht. Und neben unterschiedlichen Targets gibt es auch viele unterschiedliche Möglichkeiten, wie man das Impfantigen in den Körper bringt. Das könnte die klassische Methode inaktivierter Viruspartikel sein, aber auch ein viraler Vektor (also ein harmloses Virus, das quasi als Grippevirus verkleidet wird) oder ein mRNA-Impfstoff, wie sie derzeit bei SARS-CoV-2 erstaunliche Erfolge verzeichnen. Ich für meinen Teil bin sehr gespannt, was es da in den kommenden Jahren an neuen Entwicklungen geben wird!

Teil 3 der Serie findet ihr hier.


Quellen:

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