Die vier(einhalb) biologischen Substanzklassen – Teil 1: die Kohlenhydrate

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Aktuell wird viel über die neuen Corona-Impfstoffe diskutiert. Wie sicher sind sie, wann werden die ersten Menschen geimpft, wird jetzt alles wieder “normal”? Dabei wird auch viel darüber geredet, dass die neuen Impfstoffe mRNA-Impfstoffe sind, also ein Wirkprinzip, dass beim Menschen so noch in keiner gängigen Impfung Anwendung findet. Damit einher gehen auch neue Sorgen über Nebenwirkungen des Impfstoffes, bis hin zu der Befürchtung, dass durch die Impfung unser Erbgut verändert werden könnte. Schließlich ist RNA ja auch Erbinformation. Oder nicht? Ich möchte diesen Diskurs nutzen, um ein grundlegendes Thema zu beleuchten: Welche Moleküle spielen denn in der Biologie denn überhaupt eine Rolle? Denn in Substanzklassen gerechnet sind das gar nicht so viele, und sie helfen einem dabei viele andere (vermeintliche) Probleme in der Medizin besser einzuordnen und zu verstehen, so auch die Sorge um mRNA in den neuen Corona-Impfstoffen. Wer speziell dazu mehr wissen möchte, dem kann ich dieses Video vom Molekularbiologen Martin Moder empfehlen:


Die vier(einhalb) biologischen Substanzklassen sind die folgenden:

  1. Kohlenhydrate (Zucker)
  2. Lipide (Fette)
  3. Proteine (Eiweiße)
  4. Nukleinsäuren
  5. “kleine organische Moleküle”

Eine kurze Anmerkung vorneweg: Diese kleine Serie wird recht chemielastig. Zusätzlich werde ich einige Fachtermini verwenden müssen. Ich bemühe mich, den Artikel trotzdem verständlich und interessant zu gestalten. Dazu markiere ich wichtige Begriffe fett, und verweise an den entsprechenden Stellen auf klinische Sachverhalte, Krankheiten und Therapien, die man durch dieses doch sehr grundlegende (und daher auf den ersten Blick etwas trockene) Wissen jetzt besser versteht. Ich bin mir aber sicher, dass ich ohne solche “Basics” zu behandeln viele spannende Sachen in der Zukunft nicht adäquat erklären kann. Diese Serie dient daher auch dazu, in späteren Posts darauf verlinken zu können.

Darüber hinaus ist mir klar, dass ich viele Begriffe aus der Zellbiologie und Genetik einwerfe, mit denen der ein oder andere vermutlich noch gar nichts anfangen kann (“Plasmamembran”, “Zytosol”, “Allel”). Wenn sie zum Verständnis wichtig sind werde ich sie kurz erklären, manchmal dient die Erwähnung aber auch eher der Vollständigkeit. In einem zukünftigen Post zu diesen Themen werde ich dann auch diese Begriffe erklären. Da man aber das eine ohne das andere nicht ganz verstehen kann, und vice versa, muss man irgendwo anfangen. Und das wollen wir jetzt tun. Wenn doch etwas unklar bleibt, dann darf man gerne in den Kommentaren danach fragen.

Teil 1 – die Kohlenhydrate (Zucker)

Zucker kennen wir alle als Inhaltsstoff in Lebensmitteln. Chemisch bestehen sie meistens aus Kohlenstoff (C), Wasserstoff (H) und Sauerstoff (O), wobei letztere im Verhältnis 2:1 vorkommen; die Summenformel (Anzahl der Atome in einem Molekül) lässt sich dann als Cn(H2O)m ausdrücken, wovon sich der Name Kohlenhydrat ableitet (n und m sind dabei beliebige ganze Zahlen). Aber schon hier wird es etwas kompliziert: nicht immer werden die Begriffe Zucker und Kohlenhydrat synonym verwendet. Es gibt keine ganz klare Abgrenzung, aber Kohlenhydrat ist der Oberbegriff, und von Zuckern redet man meistens nur bei kleinen Kohlenhydraten wie Mono- oder Disacchariden (die eben auch süß schmecken).

Kohlenhydrate können mitunter sehr große Moleküle sein. Dabei werden sie immer aus kleineren Einheiten, den Monosacchariden (“Einfachzucker”) aufgebaut. Das wichtigste Monosaccharid ist eindeutig die Glucose (Traubenzucker, auch in der Abbildung zu sehen), auch Fructose (Fruchtzucker) und Galactose (hat keinen gängigen Trivialnamen) gehören dazu. Monosaccharide können sich durch chemische Reaktionen zu immer größeren Molekülen verbinden. In Tieren wird Glucose als Glykogen gespeichert, hauptsächlich in Leberzellen und Skelettmuskelzellen. Glykogen besteht aus vielen Tausenden an Glucoseeinheiten, die nicht nur als lineare Kette aneinander gehängt sind, sondern auch Verzweigungen bilden.

Glykogen ist ein Polymer aus vielen Tausenden Glucosemolekülen. Etwa alle 10 Einheiten findet sich eine Verzweigung. Überall wo sich zwei Striche treffen befindet sich ein Kohlenstoffatom (C), das jedoch in der organischen Chemie meistens nicht ausgeschrieben wird. In der Vergrößerung habe ich die 6 C-Atome der Glucose durchnummeriert. Jedes C-Atom geht immer vier Bindungen ein. Wenn allerdings weniger Bindungen eingezeichnet sind, dann sind die restlichen Bindungen der Konvention nach immer Bindungen mit Wasserstoff (H), die auch weggelassen werden. So bleiben chemische Strukturen etwas übersichtlicher.

Ganz ähnlich wie das Glykogen ist die Speicherform der Glucose in Pflanzen, die Stärke, aufgebaut (nur die Verzweigungen finden sich in anderen Abständen). In Pflanzen findet man auch ein lineares Glucosepolymer, die Cellulose, als wichtigsten Bestandteil der Zellwand. Der Unterschied zum Glykogen (neben den Verzweigungen, die sich bei Cellulose als linearem Polymer nicht finden) besteht dabei nur in der Art der chemischen Bindung, die zwischen Glucoseeinheiten eingegangen wird. Diese sorgt dafür, dass wir Menschen Glykogen zwar mühelos im Darm abbauen und resorbieren können, Cellulose aber nicht verdaut werden kann. Cellulose ist daher ein Ballaststoff. Was man davon mitnehmen sollte: Chemische Bindungen können die Eigenschaften von Molekülen drastisch verändern, auch wenn sie sich zunächst einmal sehr ähnlich aussehen. Das gilt insbesondere auch in der Pharmakologie.

Wenn wir komplexe Kohlenhydrate (wie Glykogen) mit der Nahrung aufnehmen, dann werden sie – sofern dem Körper möglich – immer in ihre Bausteine (d.h. die Monosaccharide) zerlegt. Wir nehmen also Kohlenhydrate im Darm immer als Glucose, Fructose oder Galactose auf. Die beiden Letzteren werden in der Leber dann in Glucose bzw. Stoffwechselprodukte der Glucose überführt. Wenn der Körper ein anderes Kohlenhydrat als die Glucose braucht (zum Beispiel für Glykosylierungen, s. unten), dann wird dieses Kohlenhydrat ausgehend von Glucose synthetisiert. Glucose hat also im Kohlenhydratstoffwechsel eine zentrale Stellung. Daher macht es auch Sinn, dass der einzige Zucker, den wir regelmäßig im Blut messen, die Glucose ist (“Blutzucker”).

Die Zucker, die man so aus dem Alltag kennt, sind meistens Disaccharide (“Zweifachzucker”). Der normale Haushaltszucker ist die Saccharose, und besteht aus Glucose + Fructose. Lactose (Milchzucker) besteht hingegen aus Glucose + Galactose.

Lactose kennen wir insbesondere von der Lactoseintoleranz. Sie entsteht dadurch, dass ein Enzym im Darm, die Lactase, nicht mehr ausreichend gebildet wird. Das kann nach dem Abstillen oder auch später im Leben vorkommen. Normalerweise zerlegt die Lactase (das Enzym) die Lactose (den Zucker) in seine beiden Bestandteile, Glucose und Galactose. Die Symptome (Blähungen, Durchfall, Bauchschmerzen), wenn Lactose nicht mehr im Dünndarm abgebaut werden kann, entstehen durch die Verstoffwechslung der Lactose im Dickdarm durch Bakterien. Die Lactoseintoleranz ist übrigens, wenn auch häufig als solche bezeichnet, keine Allergie, denn das Immunsystem ist in keiner Weise involviert.

Funktionen von Kohlenhydraten im Körper

Für was braucht unser Körper nun Kohlenhydrate? Prinzipiell gibt es zwei große Verwendungszwecke: Energiegewinnung und Modifikation von Proteinen.

Jeder weiß, dass unsere Zellen Glucose abbauen, um so Energie zu gewinnen. Wie läuft das genau ab? Zunächst findet dabei eine Serie chemischer Reaktionen statt, die unter dem Begriff Glykolyse subsumiert werden, und bei der ein Molekül Glucose zu einem kleineren Molekül abgebaut wird, das sich Acetyl-CoA nennt. Dieser Prozess gibt zunächst einmal nur wenig Energie, die in der Zelle in Form von ATP vorliegt (ATP wird auch als “Energiewährung” der Zelle bezeichnet). ATP wird uns in Teil 4 der Serie nochmal beschäftigen, wenn wir uns die Nukleinsäuren anschauen.

Schematischer Ablauf des Glucoseabbaus. Was genau das Zytosol und Mitochondrien sind, werde ich in einem zukünftigen Post über den Aufbau von Zellen genauer erläutern.

Die Reise ist mit dem Acetyl-CoA aber noch nicht zu Ende. Acetyl-CoA wird in unseren Mitochondrien weiter abgebaut, um jetzt deutlich größere Mengen an ATP zu gewinnen. Am Schluss bleibt nur noch Kohlenstoffdioxid (CO2) übrig, das über das Blut zur Lunge transportiert wird und dort abgeatmet wird. Dieser Prozess kann aber nur stattfinden, wenn die Zelle mit ausreichend Sauerstoff (O2) versorgt wird. Wenn eine Zelle Energie benötigt, ohne (genügend) Sauerstoff zur Verfügung zu haben, dann entsteht statt Acetyl-CoA Laktat (Milchsäure). Als Säure sorgt sie dafür, dass der pH-Wert des Gewebes absinkt. Das spüren wir z.B. bei intensivem (“anaerobem”) Training als Brennen in der Muskulatur.

Insbesondere die Zellen unseres Gehirns decken ihren Energiebedarf (unter Normalbedingungen) fast ausschließlich durch Glucose. Bei längeren Fastenperioden kann das Gehirn sich auch umstellen und dann sog. Ketonkörper verstoffwechseln, die beim Abbau von Fetten in der Leber entstehen. Aber auch alle anderen Zellen verwenden Glucose, um ihren Energiebedarf zu decken, können aber im Gegensatz zum Gehirn auch gut Fettsäuren verstoffwechseln, um ihre Energie zu produzieren.

Gespeichert wird Glucose, wie oben schon erwähnt, als Glykogen. Nehmen wir aber große Mengen Zucker zu uns, und unsere Glykogenspeicher sind schon voll, dann können aus dem oberen bereits erwähnten Acetyl-CoA auch Triglyceride (s. Teil 2) synthetisiert werden, die dann im Fettgewebe gespeichert werden (daher werden wir dick, wenn wir zu viel Cola trinken). Anders herum funktioniert der Prozess beim Menschen aber nicht: Fett kann nicht wieder in Glucose umgewandelt werden.

Die zweite Funktion von Kohlenhydraten ist die Modifikation von Proteinen (und auch Lipiden). Zuckerreste können nach der Synthese eines Proteins an dieses angeheftet werden, um unterschiedliche Funktionen zu übernehmen. Das kann z.B. die Stabilität des Proteins beeinflussen, seine Löslichkeit oder seine korrekte Faltung unterstützen. Diese Zuckerreste werden durch bestimmte Enzyme (s. Teil 3) an Proteine angeheftet, und dieser Prozess wird dann Glykosylierung genannt. Davon abzugrenzen ist die Anheftung von Glucosemolekülen, die ganz ohne ein Enzym (d.h. als unkatalysierte chemische Reaktion) erfolgt und Glykierung genannt wird. Dadurch werden z.B. extrazelluläre Proteine oder Proteine auf Endothelzellen (welche die Blutgefäße auskleiden) verändert. Das ist einer der Gründe wieso wir altern, denn diese Glykierung schädigt u.a. Blutgefäße und extrazelluläre Matrixproteine (z.B. in der Haut, mit sichtbaren Folgen wie Falten). Sie ist auch der Mechanismus, über den ein Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) unseren Körper schädigt. Denn beim Diabetes mellitus findet sich zu viel Zucker im Blut, wodurch diese Glykierungen viel häufiger stattfinden als im Normalzustand.

Obwohl man umgangssprachlich meistens nur vom “Diabetes” redet (statt korrekterweise vom Diabetes mellitus), muss man beachten, dass es auch den Diabetes insipidus gibt, der nichts mit dem Kohlenhydratstoffwechsel und der Glucose zu tun hat.

Wenn man über den Diabetes mellitus schreibt, muss man auch das Hormon Insulin erwähnen. Insulin wird vom Pankreas (Bauchspeicheldrüse) gebildet und führt dazu, dass Glucose von Fettzellen und Skelettmuskelzellen aufgenommen wird. Es ist das zentrale Hormon, das die Glucosekonzentration im Blut reguliert. Beim Typ 1-Diabetes fehlt das Hormon ganz (weil die spezialisierten Zellen, die sonst Insulin produzieren, durch eine Autoimmunerkrankung zugrunde gehen), beim Typ 2-Diabetes entwickeln Zellen eine Insulinresistenz, d.h. die normale Menge Insulin reicht nicht mehr aus, um genügend Glucose in die Zellen aufzunehmen. Beide Male kommt es dadurch zu mitunter stark erhöhten Blutglucosekonzentrationen. Das führt dann auch dazu, dass Glucose über die Nieren im Urin ausgeschieden wird, woher der Name Diabetes mellitus herrührt (“honigsüßer Durchfluss”).

Die AB0-Blutgruppe

Eine bestimmte Art der Glykosylierung von Membranproteinen in Erythrozyten ist auch die Grundlage für das AB0-Blutgruppensystem. Membranproteine sind Proteine, die in der Plasmamembran der Zelle verankert sind. A, B und 0 sind die Namen der Blutgruppen, die durch bestimmte Glykosylierungsmuster dieser Proteine definiert sind: Muster A, Muster B und Muster H (das zu Blutgruppe 0 führt). Diese Muster werden auch Antigene genannt, weil sie durch Antikörper erkannt werden können. Diese Antigen-Antikörperreaktion ist der Grund, dass Blut zweier unterschiedlicher AB0-Blutgruppen miteinander verklumpen. Daher muss bei einer Bluttransfusion immer auf die Blutgruppe geachtet werden.

Für diese Glykosylierungen werden – definitionsgemäß, wie wir jetzt wissen – auch bestimmte Enzyme gebraucht: Enzym A für Antigen (und Blutgruppe) A, Enzym B für Antigen (und Blutgruppe) B, und wenn keines von beiden Enzymen vorhanden ist, dann bleibt das Antigen H übrig (und dementsprechend Blutgruppe 0):

Schematisches Bild eines Membranproteins eines Erythrozyten. Eine bestimmte Anordnung von Kohlenhydraten, die mit dem Membranprotein verbunden sind, entscheidet darüber, ob das Antigen A (-> Blutgruppe A), Antigen B (-> Blutgruppe B), keines von beiden (Antigen H -> Blutgruppe 0) oder beide Antigene vorliegen (-> Blutgruppe AB)

Diese Enzyme werden von unterschiedlichen Allelen des gleichen Gens kodiert. Da wir immer zwei Allele jedes Gens besitzen (eines von der Mutter, eines vom Vater vererbt), gibt es folgende Möglichkeiten: mit der Allelkombination AA kann nur Blutgruppe A entstehen, analog mit der Allelkombination BB. Bei AB entstehen beide Zuckerstrukturen (einige Membranproteine tragen Antigen A, andere Antigen B), und dementsprechend die Blutgruppe AB. Die Kombinationen A0 und B0 führen dann zu den Blutgruppen A und B, da die Blutgruppe 0 nur dann entsteht, wenn keines der beiden Enzyme A oder B vorhanden ist. Blutgruppe 0 kann daher nur bei der Allelkombination 00 entstehen.

Natürlich können Kohlenhydrate auch weitere Funktionen annehmen; hier wurden jetzt erstmal die wichtigsten genannt. In Teil 4 werden wir sehen, dass sie zum Beispiel auch ein Teil von DNA und RNA sind. Als nächstes werden wir uns aber erst mal den Fetten widmen.


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