Die vier(einhalb) biologischen Substanzklassen – Teil 2: die Lipide

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Lipide zeichnen sich chemisch dadurch aus, dass sie sich nicht in Wasser lösen. Man bezeichnet sie als lipophil (“fettliebend”, da sich Fette in anderen (flüssigen) Fetten lösen lassen) oder hydrophob (“wasserhassend”). Diese Dichotomie kommt daher, dass man Moleküle in zwei Kategorien einteilen kann: entweder sind sie (partiell) geladen (“polar”), so wie Wasser oder Ionen, oder sie sind nicht geladen (unpolar), wie das z.B. bei Kohlenwasserstoffen wie Methan oder normalem Sonnenblumenöl der Fall ist. Obacht: Kohlenwasserstoffe darf man nicht mit den Kohlenhydraten aus Teil 1 verwechseln. Kohlenhydrate sind polar und daher gut wasserlöslich. Das weiß jeder, der seinen Kaffee mit Zucker trinkt.

Für den Körper ist das auf der einen Seite ein Problem, da Lipide im Blut (das eine wässrige Lösung darstellt) nur transportiert werden können, wenn sie vorher “verpackt” und so wasserlöslich gemacht wurden. Auf der anderen Seite wird diese Eigenschaft auch genutzt, um in der Zelle unterschiedliche Kompartimente zu bilden, die voneinander durch Lipidmembranen getrennt sind. Auch die Zelle selber trennt sich so mit der Plasmamembran von ihrer Umgebung ab.

Lipide als Energiespeicher

Die erste Funktion, die einem einfällt wenn man an Fett denkt, ist vermutlich dessen Funktion als Energiespeicher, mit der unsere Gesellschaft als Ganzes ein ziemliches Problem hat. Weltweit sind nämlich fast 40 % der Bevölkerung übergewichtig, definiert als BMI >25 kg/m². In Deutschland sind es sogar 60 %. Fett wird im Fettgewebe in speziellen Zellen, den weißen Fettzellen, in Form von Triglyceriden gespeichert. Triglyceride bestehen aus drei Fettsäuren, die an das Molekül Glycerin gekoppelt sind (s. Abbildung). Soll nun im Körper Fett zur Energieproduktion abgebaut werden (z.B. nach längerer sportlicher Betätigung – zu Beginn wird hauptsächlich Glucose abgebaut), dann werden diese Fettsäuren vom Glycerin abgespalten und über das Blut zu den entsprechenden Geweben, beispielsweise der Muskulatur, transportiert. Dort werden sie zu Acetyl-CoA abgebaut – die Endstrecke ist also die Gleiche wie bei der Glucose. Im Blut binden Fettsäuren an ein Transportprotein, das Albumin, da sie als Fett eben nur schwer wasserlöslich sind (wobei Fettsäuren – wie das Name schon sagt – auch einen hydrophilen (d.h. polaren) Anteil tragen, der gut wasserlöslich ist. Dieser Anteil ist aber nur vorhanden, wenn die Fettsäure nicht chemisch an Glycerin gebunden ist: Triglyceride sind eindeutig unpolar).

Strukturformel eines Triglycerids, der Speicherform der Fette im Körper. Im Glycerin, dem Grundgerüst, sind die drei C-Atome explizit eingezeichnet. In den drei Fettsäuren wurden – wie in der organischen Chemie üblich – die C- und H-Atome nicht mehr ausgeschrieben.

Fettsäuren gibt es in zwei Formen, von denen jeder schon gehört hat: gesättigte und ungesättigte Fettsäuren. Der Unterschied liegt im chemischen Aufbau dieser Moleküle. Ungesättigte Fettsäuren tragen sogenannte Doppelbindungen, die bei gesättigten Fettsäuren fehlen. Der Begriff rührt daher, dass eine Doppelbindung dazu führt, dass sich auch zwei Wasserstoffatome (H-Atome) weniger im Molekül befinden: die Fettsäure ist also nicht mit Wasserstoff “gesättigt”. Einige der ungesättigten Fettsäuren sind gleichzeitig auch essentielle Fettsäuren. Essentiell bedeutet, dass sie nicht vom Körper selber synthetisiert werden können, sondern mit der Nahrung aufgenommen werden müssen. Denn der Körper kann zwar manche Doppelbindungen selber synthetisieren, andere jedoch nicht – und Letztere müssen daher mit der Nahrung aufgenommen werden.

Wenn es um ungesättigte Fettsäuren geht, dann liest man oft von Omega-3 oder Omega-6-Fettsäuren. Die Omega-Nomenklatur bezieht sich darauf, wie viele Kohlenstoff-Atome die letzte Doppelbindung der Fettsäure von ihrem Ende entfernt ist. Manche Nahrungsmittel, wie beispielsweise Fisch, enthalten besonders viele dieser Fettsäure, die als besonders “gesund” gelten. Sie werden auch in großen Mengen als Nahrungsergänzungsmittel verkauft. Einen relevanten Nutzen für die Gesundheit haben sie allerdings nachweislich nicht, was schade ist. Der Hype kommt daher, dass man auf biochemischer Ebene gute Argumente dafür anführen kann, wieso sie gut für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein sollten. Wieso so eine biologische Plausibilität jedoch nicht ausreicht, um einen Nutzen zu beweisen, sondern eine Überprüfung in klinischen Studien das ausschlaggebende Kriterium ist, habe ich bereits letzte Woche in einem anderen Kontext erklärt.

Lipide als Teil biologischer Membranen

Neben den Triglyceriden gibt es auch solche Lipide, die – ähnlich wie die freien Fettsäuren – neben ihrem unpolaren Anteil (“Schwanzgruppe”) auch einen polaren Teil haben (“Kopfgruppe”). Solche Fette werden amphiphil genannt. Davon gibt es mehrere Vertreter, z.B. Phospholipide, Sphingolipide und auch das Cholesterin. Diese Moleküle lagern sich in einer wässrigen Lösung so zusammen, dass ihre polaren (hydrophilen) Anteile mit dem Wasser Kontakt haben, ihre hydrophoben Anteile jedoch nur untereinander:

Amphiphile Lipide bilden in wässrigen Lösungen Micellen und Lipid-Doppelschichten (“Membranen”), je nach Zusammensetzung der Lipide und den Umgebungsbedingungen wie z.B. der Temperatur.

Jede Zelle ist von einer solchen Membran umgeben, die dann als Plasmamembran bezeichnet wird. Aber auch in der Zelle finden sich wieder eigene Kompartimente (sog. Zellorganellen), die wiederum von solchen Lipidmembranen umgeben sind. Mitochondrien (in denen durch Sauerstoff ATP hergestellt wird) sind sogar von zwei Membranen umgeben, da sie ursprünglich (vor vielen hunderten Millionen Jahren) mal Bakterien waren – die natürlich auch selber von einer Membran umgeben sind. Wie eingangs schon erwähnt, können so unterschiedliche Kompartimente entstehen, die essentiell für die Funktion einer Zelle sind. In Mitochondrien herrschen andere Verhältnisse als im Zytosol der Zelle, z.B. ist der pH-Wert höher. In Lysosomen (einer weiteren Zellorganelle, die von einer Lipidmembran umgeben ist) werden zum Beispiel Krankheitserreger abgetötet, indem sie von Enzymen zersetzt werden. Die Lipidmembran begrenzt den Wirkungsort dieser Enzyme, und schützt die Zelle davor, sich selber abzubauen. Und zu guter Letzt trennt die Plasmamembran natürlich das Zellinnere vom Raum außerhalb der Zelle ab, der (einer gewissen Logik folgend) als Extrazellularraum bezeichnet wird. Es unterscheiden sich z.B. die Ionenkonzentrationen im Extrazellularraum von denen im Zellinneren. Das ist die Grundlage der elektrischen Reizübertragung in Nerven oder im Herz.

Ohne Lipidmembranen ist Leben also gar nicht denkbar. Aber eine Zelle kann sich natürlich nicht komplett von ihrer Umgebung abschotten. Es gibt viele Möglichkeiten, wie Kommunikation über die Plasmamembran hinweg möglich ist. Es gibt zum Beispiel Proteine innerhalb von Lipidmembranen, die Ionen oder Moleküle wie Glucose durch die Membran schleusen können (“Kanäle” durch die Zellmembran). Bei einem Prozess, der sich Endozytose nennt, wird einfach ein kleiner Teil der Extrazellularflüssigkeit in die Zelle aufgenommen (“endozytiert”). Und Hormone können an andere Proteine in der Plasmamembran binden (dann Rezeptoren genannt), die dann ein Signal ins Zellinnere weiterleiten (z.B. das Signal an die Zelle, sich zu teilen oder – wenn es sich um eine Muskelzelle handelt – sich zu kontrahieren).

Cholesterin und Lipoproteine

Wie wir schon erwähnt haben, stellt die “Unpolarität” der Lipide die Zelle vor Herausforderungen beim Transport ebendieser. Im Blut lösen sich Lipide nicht richtig, und der Transport wäre somit enorm ineffizient. Die Lösung ist es, Lipide zu verpacken. Dazu werden sie mit einer Mischung aus Proteinen und amphiphilen Lipiden umgeben. Das so entstandene Partikel ist nach außen hin hydrophil, im Innern jedoch lipophil. So können u.a. Triglyceride im Blut transportiert werden. Diese Partikel (“Lipoproteine”) werden nach ihrer Dichte (engl. density) unterschieden. Zwei davon kennt man, wenn man mal beim Arzt sein Cholesterin hat messen lassen. Denn wie wir jetzt verstehen, können wir nicht Cholesterin selber messen, sondern müssen die Lipoproteine messen, die das Cholesterin transportieren. Das ist einmal das low density lipoprotein (LDL, “schlechtes Cholesterin”) und das high density lipoprotein (HDL, “gutes Cholesterin”). Die Bezeichnungen “gut” und “schlecht” beziehen sich darauf, dass die Menge dieser Lipoproteine mit einem erhöhten bzw. erniedrigten sogenannten kardiovaskulären Risiko einhergehen. Darunter versteht man insbesondere das Risiko, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden. Mehr HDL verringert also das kardiovaskuläre Risiko, und mehr LDL erhöht es. Der Unterschied liegt darin, dass HDL und LDL zwar beide Cholesterin transportieren, aber in unterschiedliche “Richtungen”: LDL transportieren Cholesterin aus der Leber in alle anderen Gewebe, HDL transportieren überschüssiges Cholesterin von diesen Geweben wieder zurück zur Leber. Die Leber ist also auch im Lipidstoffwechsel das zentrale Organ. Die Leber bekommt das Cholesterin aus zwei Quellen: einmal aus dem Darm, also das mit der Nahrung aufgenommene Cholesterin, das etwa ein Drittel des Cholesterinverlusts ausgleicht. Aber die Leber (und andere Körperzellen) produzieren auch jede Menge Cholesterin selber, nämlich die anderen zwei Drittel. 

Zusätzlich kann die endogene (d.h. körpereigene) Cholesterinsynthese an die exogene Cholesterinzufuhr über die Nahrung angepasst werden. Das bedeutet, dass die endogene Produktion heruntergefahren wird, wenn wir mehr Cholesterin über die Nahrung zu uns nehmen. Eine cholesterinhaltige Ernährung muss also nicht zwingend zu einer erhöhten Cholesterinmenge im Blut (“Hypercholesterinämie”) führen.

Die Cholesterinsynthese in der Leber wird übrigens durch die Medikamentengruppe der Statine gehemmt, die so zu einer Reduktion der LDL-Konzentration im Blut, und damit zu einer Erniedrigung des Risikos für Herzinfarkte und Schlaganfälle führt. Statine gehören weltweit zu den meistverschriebensten Medikamenten überhaupt. Alleine mit Lipitor, das nur eines von vielen Präparaten nur eines vieler Statine ist (nämlich Atorvastatin), wurden 2011 weltweit etwa 10 Milliarden US-Dollar Umsatz gemacht. Zum Vergleich: mit allen Impfungen wurden 2013 weltweit geschätzte 24 Milliarden US-Dollar Umsatz gemacht.

Wieso ist Cholesterin für den Körper eigentlich so wichtig? Nun, zunächst einmal brauchen alle Lipidmembranen (zumindest beim Menschen) auch Cholesterin als essentiellen Bestandteil. Cholesterin ist auch das Ausgangsmolekül für zwei weitere Substanzgruppen: die Steroidhormone und die Gallensäuren. Zu den Steroidhormonen gehören z.B. Cortisol und die Sexualhormone wie Östrogene und Testosteron. Gallensäuren sind modifiziertes Cholesterin, das so einen deutlich polareren Anteil im Molekül bekommt und dadurch deutlich amphiphiler ist. Diese Gallensäuren werden – entsprechend ihrem Namen – von der Leber als Teil der Galle sezerniert. Die Galle wird in der Gallenblase dann zwischengespeichert und aufkonzentriert (nicht jedoch dort produziert, wie öfters mal geglaubt wird; die Galle kommt ausschließlich aus der Leber). Zweck der Galle ist es, Fette aus der Nahrung löslich zu machen: denn wie auch im Körper haben wir im Darm ebenfalls das Problem, dass sich Fette nicht im Wasser verteilen sondern “unter sich” bleiben. Gallensäuren legen sich, genauso wie Spüli oder Seife, um Fette und bringen sie so in Lösung. Nur dann können sie auch effizient resorbiert werden. So werden nicht nur Triglyceride und Cholesterin resorbiert, sondern auch alle fettlöslichen Vitamine (E, D, K, A).

Für die Verdauung müssen Fette zunächst in Lösung gebracht werden, damit Verdauungsenzyme (die selber auch wasserlöslich sind) diese abbauen und in ihre Bestandteile (z.B. Fettsäuren) zerlegen können. Dazu dient die Galle mit ihren Gallensäuren als amphiphile Moleküle. Zusätzlich wird so die Oberfläche der Lipid-Wasser-Schicht deutlich erhöht und so den Verdauungsenzymen die Arbeit erleichtert. Verdauungsenzyme werden vom Pankreas (Bauchspeicheldrüse) gebildet und in den Dünndarm sezerniert.

Gallensäuren und Steroidhormone sind übrigens die einzigen Möglichkeiten, wie der Körper Cholesterin ausscheiden kann.

Weitere Funktionen von Lipiden

Natürlich ist das hier nur die meiner Ansicht nach wichtigsten der vielfältigen Rollen und Funktionen, die unterschiedlichste Lipide im Körper annehmen. Eine Fetthülle um die Fortsätze von Nervenzellen, das Myelin, verbessert z.B. deren elektrische Reizübertragung, indem die Fortsätze abschnittsweise elektrisch isoliert werden und so eine besonders schnelle Reizübertragung ermöglichen. Lipide können auch wichtige Signalstoffe (Hormone) sein. Eine Gruppe solcher Signalmoleküle möchte ich zum Abschluss noch erwähnen, nämlich die Prostaglandine. Bei Entzündungsreaktionen kommt es dazu, dass eine bestimmte Fettsäure aus der Zellmembran (die Arachidonsäure) herausgelöst wird, und von einem Enzym, der Prostaglandin H2-Synthase, weiter verstoffwechselt wird. Durch einige anschließende Schritte entstehen unterschiedliche Prostaglandine. Diese werden von der Zelle freigesetzt, und werden von anderen Zellen erkannt. Diese Prostaglandine sind nicht die einzigen Entzündungsmediatoren (d.h. Moleküle, welche die Entzündungsreaktion vermitteln), aber ein wichtiger Bestandteil. Sie vermitteln z.B. das Fieber, das oft mit Entzündungen einhergeht, und aktivieren Schmerzrezeptoren im Entzündungsherd, so dass auch schon leichte Berührungen starke Schmerzen hervorrufen können. Durch Hemmung der Prostaglandin H2-Synthase kann man nun also einen antientzündlichen (“antiphlogistischen”), schmerzstillenden (“analgetischen”) und fiebersenkenden (“antipyretischen”) Effekt erzielen. Das ist der Wirkmechanismus der sog. nichtsteroidalen Antirheumatika (NSARs), im Englischen non-steroidal anti-inflammatory drugs (NSAIDs) genannt. Dazu gehören u.a. Acetylsalicylsäure (Aspirin), Ibuprofen und Diclofenac (Voltaren), die wir vermutlich alle schon mal eingenommen haben.

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