Das alpha-Gal-Syndrom – eine ungewöhnliche Allergie

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Bei einer Allergie kommt es zu einer überschießenden Reaktion des Immunsystems auf ein Antigen. Das kann harmlos sein, wie beispielsweise beim Heuschnupfen, bei dem das Immunsystem auf Pollen in der Luft reagiert, und es zu juckenden Augen und einer laufenden Nase kommt. Es gibt jedoch auch schwere allergische Reaktionen (die man Anaphylaxie nennt), die mitunter lebensbedrohlich sein können. Eine Allergie, die man erst seit kurzem (etwa 10-20 Jahren) kennt, und die daher immer noch aktiv untersucht wird, ist das sog. alpha-Gal-Syndrom (AGS), bei dem es zu einer Immunreaktion auf Bestandteile von rotem Fleisch (und anderen Tierprodukten) in der Nahrung kommt.

Von einer Lebensmittelallergie, wie dem alpha-Gal-Syndrom oder der Zöliakie (Gluten-Allergie) muss man Lebensmittelunverträglichkeiten abgrenzen. Wohingegen eine Allergie immer durch eine fehlerhafte Reaktion des Immunsystems bedingt ist, spielt das Immunsystem bei einer Unverträglichkeit keine Rolle. Die häufigste Lebensmittelunverträglichkeit ist sicherlich die Laktose-Intoleranz, bei der das Enzym fehlt, um Laktose (Milchzucker) im Dünndarm abbauen zu können. Die aufgenommene Laktose gelangt dadurch in den Dickdarm, wo sie von Bakterien verstoffwechselt wird und die typischen Symptome (Durchfall, Blähungen) verursacht. Das Immunsystem ist nicht beteiligt.

Das Antigen: alpha-Gal

Auf welchen Inhaltsstoff in rotem Fleisch reagiert das Immunsystem denn nun genau? Und wieso ist er nur in rotem Fleisch enthalten? Das Antigen, das fälschlicherweise durch das Immunsystem erkannt wird, ist ein Zucker, der Galaktose-α-1,3-Galaktose heißt (kurz: alpha-Gal). Es handelt sich also um zwei Einfachzucker (Monosaccharide), die über eine bestimmte chemische Bindung (eine α-1,3-Bindung) aneinander gekoppelt sind, und so ein Disaccharid bilden. Alpha-Gal findet sich als Teil von glykosylierten Proteinen in Fleisch. Aber nicht jedes Tier hat das Gen, das für das Enzym kodiert, das diesen Zucker synthetisieren kann. Nur Säugetiere tragen auf ihren Proteinen auch alpha-Gal. Das erklärt, wieso es nur beim Konsum von rotem Fleisch zu einer allergischen Reaktion kommt, nicht jedoch bei Geflügel oder Fisch. Und es erklärt auch, wieso die gleiche Symptomatik nach dem Konsum von Milchprodukten auftreten kann: Auch Proteine in der Milch enthalten alpha-Gal als Teil ihrer Zuckerstruktur.

Jetzt kann man sich die Frage stellen, wenn Säugetiere alpha-Gal herstellen, dann doch auch der Mensch? Wie können wir gegen ein Antigen reagieren, das wir selber synthetisieren? Die Antwort ist, dass der Mensch mit einigen anderen Primaten zusammen eine Ausnahme bildet. Wir haben das entsprechende Gen zur alpha-Gal-Synthese im Rahmen der Evolution verloren, und tragen dieses Antigen daher eben nicht in uns, und können dementsprechend allergisch darauf reagieren.

Interessanterweise ist es so, dass wir alle Antikörper gegen alpha-Gal im Blut haben. Patienten mit alpha-Gal-Syndrom haben jedoch eine deutlich höhere Menge einer bestimmten Antikörperklasse im Blut, den IgE-Antikörpern, die (eine bestimmte Form von) Allergien vermitteln. Aber auch diese “normalen” alpha-Gal-Antikörper können problematisch werden. Sie sind nämlich wesentlich daran beteiligt, ein Organtransplantat abgestoßen, das von einem Säugetier wie beispielsweise einem Schwein stammt. Um dieses Problem zu umgehen, werden derzeit Schweine gentechnisch manipuliert, die kein alpha-Gal mehr synthetisieren. So hofft man, in Zukunft den Mangel an menschlichen Spenderorganen durch Organe des Schweins ausgleichen zu können. Schweine, die kein alpha-Gal synthetisieren können, gibt es bereits (und das macht den Schweinen auch gar nichts), deren Organe kann man aber leider noch nicht in Menschen transplantieren. Denn obwohl alpha-Gal eine wichtige Rolle bei der Abstoßung spielt, ist es nicht der einzige Faktor. Hier muss also noch weiter geforscht werden, mit etwas Glück könnte hier aber in Zukunft eine Revolution der Transplantationsmedizin erfolgen. Man stelle sich nur vor: Wir könnten jedes kranken Organ durch ein Schweineorgan ersetzen, ohne danach lebenslang Immunsuppressiva einnehmen zu müssen (und selbst wenn!). Aktuell ist das aber alles noch Zukunftsmusik.

Wie erkrankt man am Alpha-Gal-Syndrom?

Im Gegensatz zu anderen Allergien, bei denen man meistens nicht erklären kann, wieso jemand daran leidet, gibt es für das AGS eine Erklärung: Zeckenstiche! Denn Zecken tragen alpha-Gal in ihrem Speichel, und können so bei einem Stich zur Entwicklung einer Allergie entwickeln. Wenn die Betroffene dann alpha-Gal mit der Nahrung zu sich nimmt, beispielsweise in Form eines Rindersteaks, dann kommt es nach einigen Stunden zum Auftreten von allergischen Symptomen. Dazu gehören: Bauchschmerzen und andere GI-Beschwerden, Juckreiz, Urtikaria und andere Hautreaktionen, Schwellungen (auch der Atemwege!) und im schlimmsten Fall Anaphylaxie, mit Luftnot und Schock. Dass diese Symptome mit einer Verzögerung auftreten, ist für die IgE-vermittelte Allergie sehr ungewöhnlich. Normalerweise findet sich die Reaktion sofort, was dieser Art der Allergie ihren Namen gibt: Allergie vom Soforttyp. Auch beim AGS treten die Symptome nicht schleichend, sondern sofort auf, aber eben erst Stunden nach der Aufnahm des Allergens. Sehr ungewöhnlich. Aktuell wird dies dadurch erklärt, dass die Aufnahme des Allergens (alpha-Gal) über den Darm nur verzögert stattfindet. Abschließend geklärt ist diese Frage aber noch nicht. Ebenfalls ungewöhnlich ist es, dass der klassische Test zur Diagnose dieser Allergien, der Pricktest (bei dem kleine Mengen des Allergens durch einen Stich in die Haut eingebracht werden, um eine allergische Reaktion auszulösen – oder eben nicht) hier keine nützlichen Hinweise gibt. Zur Diagnose wird – neben der Symptomatik und dem Ansprechen auf eine fleischlose Ernährung – hier die Menge an IgE im Blut gemessen, das alpha-Gal erkennt.

Wer aufmerksam mitgelesen hat, der erinnert sich, dass auch gesunde Menschen alpha-Gal-IgE-Antikörper im Blut haben. Wie also trennt man die Gesunden von den Kranken ab? Das ist tatsächlich eine schwierige Frage, die aktuell nicht abschließend geklärt ist. Wie immer bei solchen Tests muss man einen Cutoff festlegen, also einen Grenzwert, ab dem man den Test als positiv bewertet und die Diagnose stellen würde. Klar ist: Je niedriger ich den Wert festlege, desto mehr Untersuchte werde ich als “krank” klassifizieren. Ich erkenne so einen größeren Teil der Erkrankten (man spricht von einer hohen Sensitivität), aber deklariere auch viele Gesunde als krank (ein falsch-positives Ergebnis, das meine Spezifität senkt). Wenn ich den Cutoff höher lege, dann passiert das umgekehrte: Ich erkenne tendenziell nur noch die, die wirklich krank sind (hohe Spezifität), aber verpasse viele, die zwar krank sind, aber nur mittelmäßig hohe IgE-Mengen haben (niedrige Sensitivität). Den Sweet Spot, also der Wert, bei dem Sensitivität und Spezifität maximal hoch sind, muss man für alpha-Gal-IgEs noch genau ermitteln. Diese Abwägung muss man übrigens bei jedem Labortest vornehmen, das ist ein allgemeines Prinzip.

Beim AGS kommt es also durchaus zu lebensbedrohlichen Symptomen. Die gute Nachricht ist jedoch: Im Gegensatz zu anderen Allergien bildet sich diese Allergie mit der Zeit (Monate bis Jahre) wieder zurück. Voraussetzung ist jedoch, dass man in der Zwischenzeit nicht weiter von Zecken gestochen wird. Dann kann das AGS auch lebenslang bestehen bleiben. Die einzige Therapieoption ist dann, auf rotes Fleisch zu verzichten. Seltener müssen auch Milchprodukte und Gelatine vermieden werden. Je nach Ernährungsweise kann das dann einen deutlichen Einschnitt in die eigene Lebensführung darstellen.

Offene Fragen

Auch wenn es jetzt vielleicht den Eindruck macht, man hätte dieses Krankheitsbild gut verstanden, gibt es tatsächlich noch jede Menge offener Fragen, an denen geforscht wird. Es ist beispielsweise unklar, wie alpha-Gal denn in den Speichel der Zecke kommt. Sind es noch Überreste von vorherigen Blutmahlzeiten? Oder synthetisieren die Zecken es selber? Wieso kommt es nur bei Zeckenstichen zur Sensibilisierung, nicht beim Konsum von rotem Fleisch? Unklar ist auch, wieso die Reaktionen auf Wild oftmals schwächer ausfallen als auch Schweine- oder Rindfleisch. Hier könnte der geringe Fettgehalt von Wild ursächlich sein. Auch Fette können glykosyliert sein, und so alpha-Gal tragen. Das könnte auch die Verzögerung des Symptomeintritts erklären, da Fette generell langsamer aufgenommen werden als andere Nahrungsbestandteile. Und die meiner Meinung nach spannendste Frage ist, ob wir eine Impfung entwickeln können, die gegen Zecken generell wirkt, so dass eine Übertragung von Krankheitserregern (und ggf. auch die Ausbildung der alpha-Gal-Allergie) gar nicht mehr möglich sind. Bei Rindern ist eine solche Immunität nach wiederholten Zeckenstichen gut beschrieben. Es bleibt abzuwarten, ob die Forschung diese Mechanismen aufdecken und in Form einer Impfung auch für uns alle zugänglich machen kann. Wenn es soweit ist, werde ich hier natürlich darüber berichten.

Quellen:

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