Eine ungewöhnliche Therapie für Vitamin A-Mangel

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Huch, der letzte Post ist schon über einen Monat her. Die Zeit vergeht so schnell, man merkt es kaum. Ich hoffe, jetzt wieder einen regelmäßigen Turnus zu schaffen.

In einem der ersten Posts dieses Blogs habe ich bereits kurz über Vitamin A geschrieben. Es ist am Sehvorgang beteiligt und fungiert auch als Transkriptionsfaktor, also als ein Molekül, das an DNA binden kann und deren Transkription beeinflussen kann. In Deutschland haben wir kein Problem mit Vitaminmangel. Mit einer halbwegs ausgewogenen Ernährung bekommen wir alle Vitamine, die wir brauchen. Obwohl Vitaminpräparate sehr beliebt ist, zeigen die Daten ziemlich klar, dass eine routinemäßige Ergänzung, also die Einnahme von Vitaminpräparaten ohne eine Diagnose – wie beispielsweise einer Zöliakie – keinen Nutzen gibt. Wasserlösliche Vitamine (z.B. Vitamin C oder die B-Vitamine) werden sowieso wieder rasch nach Einnahme über die Niere ausgeschieden, wenn der Körper sie nicht braucht. Bei den fettlöslichen Vitaminen (A, D, E, K) können hohe Dosen sogar zu Vergiftungen führen. In Afrika und Südostasien hingegen ist Vitamin A-Mangel immer noch ein riesiges Problem. Jedes Jahr erblinden und sterben mehrere Hunderttausende Kleinkinder an dessen Folgen. Viele Millionen Kinder sind in Gefahr. Über einen ganz besonderen Ansatz, dieses Problem zu lösen, soll es heute gehen: den “Golden Rice”.

Quelle: Wikipedia. Lizenz: CC BY 2.0

Güldener Reis?

Insbesondere in Südostasien ist der Grund für die geringen Mengen Vitamin A, die Kindern zu Verfügung stehen deren einseitige Ernährung, die zu einem Großteil aus Reis besteht. In den 90er-Jahren hatten Forscher daher die Idee, Reispflanzen gentechnisch zu verändern, so dass sie β-Carotin produzieren – das auch Provitamin A heißt. Wir kennen es hauptsächlich aus Karotten, und es ist die Substanz, die diesem Reis eine ganz besondere Farbe und damit auch seinen Namen verleiht. Dazu wurden zwei neue Gene in das Genom der Reispflanze eingefügt.

Entwickelt wurde der Reis von den Teams um Ingo Potrykus in Zürich und Peter Beyer in Freiburg. Mehrere Unternehmen haben sie unterstützt, indem sie patentierte Verfahren und Materialien kostenfrei zur Verfügung gestellt haben. Mit der zweiten Generation dieser Pflanzen, bei denen die Produktion von β-Carotin nochmal deutlich gesteigert wurde, kann die gesamte benötigte Tagesdosis Vitamin A durch den Konsum von nur 75 g Golden Rice gedeckt werden. An Kleinbauern soll der Reis kostenlos verteilt werden, bei Eigenkonsum soll auf Lizenzgebühren verzichtet werden.

Wo wird Golden Rice denn aktuell überall angebaut? Schließlich sind seit der Entwicklung mehr als 20 Jahre vergangen. Die Antwort ist etwas ernüchternd: noch nirgendwo, zumindest nicht kommerziell. Freilandversuche gibt es schon. Erst im Juli diesen Jahres gab es die erste Zulassung für den kommerziellen Anbau der Pflanze, und zwar in den Philippinen. Bangladesch wird hoffentlich bald folgen. Die Gründe für diese lange Verzögerung sind vielfältig. Zum einen kann der gentechnisch veränderte Reis nicht direkt auf Feldern in Südostasien angebaut werden. Zuvor muss dieser mit den dort heimisch verwendeten Sorten gekreuzt werden, um deren an die Umwelt angepasste Eigenschaften und somit den Ertrag nicht zu gefährden. So erhält man – nach vielen Jahren – einen Reis, der sich in den wichtigen Eigenschaften wie dem Ertrag oder der Resistenz gegen Krankheiten nicht von den heimischen Sorten unterscheidet, aber trotzdem noch die beiden Gene trägt, die das β-Carotin produzieren. Zusätzlich dazu werden gentechnisch veränderte Pflanzen in vielen Ländern äußert streng reguliert, so dass die Zulassung dieser gekreuzten Reispflanzen ebenfalls sehr lang dauern kann. Und über all dem schwebt die – wissenschaftlich unbegründete – Frage nach der Sicherheit des Konsums gentechnisch veränderter Pflanzen. Nicht zuletzt wir in der EU haben eine irrationale Angst vor grüner Gentechnik. Hier und auch in den Philippinen gab es viel öffentlichen Protest gegen Feldversuche mit Golden Rice, bei dem diese Testfelder nicht selten auch zerstört wurden.

Es wird in der EU nur eine einzige gentechnisch veränderte Pflanze angebaut – eine Maissorte, die resistent gegen bestimmte Schädling ist, und auch sie wird nur in Portugal und Spanien angebaut. Deutschland hat grüne Gentechnik kategorisch verboten – ein Armutszeugnis über die Wissenschaftskenntnis unserer Politiker. Dabei wird grüne Gentechnik eine absolute Schlüsseltechnologie unserer Zukunft sein (müssen).

Insbesondere im Hinblick auf Golden Rice ist diese Angst unbegründet. Ausführliche Untersuchungen haben keine Unterschiede hinsichtlich Nährstoffzusammensetzung, Toxizität oder Allergenen zwischen herkömmlichem Reis und Golden Rice gefunden – mit Ausnahme des deutlich höheren Vitamin A-Gehalts.

Neben diesem Ansatz gibt es auch Programme, die Vitamin A-Supplemente an die Bevölkerung verteilen. Obwohl das definitiv sinnvoll ist, hat es leider noch nicht den durchschlagenden Erfolg gebracht, den man sich wünschen würde. Genauso gibt es Bemühungen, dass Bauern nicht nur Reis, sondern auch Gemüse anbauen, um ihre Vitaminversorgung zu verbessern. Das sind alles komplementäre Vorgehensweisen. Golden Rice ist ein weiteres Werkzeug im Kampf gegen Vitamin A-Mangel, das man nicht aus ideologischen Gründen verwerfen sollte. Wie viel er zur Lösung dieses Problems beitragen wird, müssen wir noch abwarten. Das wird man erst in einigen Jahren beurteilen können. Aber es ist ein vielversprechender Ansatz, und wenn er sich bewährt, dann bin ich sehr gespannt, welche Probleme sich sonst noch so zukünftig mit grüner Gentechnik lösen lassen. Das Potential ist fast unbegrenzt.

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