Der NIPT und die Revolution der genetischen Testung ungeborener Kinder

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Bereits letzten Monat habe ich über die enormen Fortschritte im Bereich der Sequenzierung von Erbinformation geschrieben. Vor einer Woche wurde vom gemeinsamen Bundesausschuss beschlossen, dass ein – mehr oder weniger neuer – pränataler Gentest für Trisomien nun ab 2022 Kassenleistung werden wird. Über diesen Gentest wollte ich sowieso schreiben, und nehme diese Entscheidung zum Anlass, das nun auch zu tun.

Blöder Name – genialer Test

Hinter der Abkürzung NIPT versteckt sich das einzige, was an diesem Test wirklich total dämlich ist – nämlich der Name. NIPT steht für nicht-invasiver Pränataltest. Also ein Test, mit dem ich das Kind vor der Geburt untersuchen kann, ohne dabei mit einer Nadel z.B. Fruchtwasser oder die Plazenta (“Mutterkuchen” – auch ein schreckliches Wort) zu punktieren, um so Zellen des Fetus zu gewinnen, die man dann genetisch untersuchen kann. Aber streng genommen ist auch jeder Ultraschall im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge ein “nicht-invasiver Pränataltest”. Der Name ist also zunächst einmal total unspezifisch. Und dazu streng genommen noch falsch: Denn mit dem NIPT untersuche ich das Blut der Schwangeren – und das bekomme ich nur mit einem (zugegebenermaßen minimal)invasiven Eingriff, nämlich einer Blutentnahme! Aber NIPT hat sich leider eingebürgert, deswegen werde ich diesen Begriff auch verwenden.

Aber wie funktioniert der Test?

Wie kann es jetzt aber sein, dass ich durch Blut der Schwangeren eine Info über das Genom des Fetus erhalte? Dazu macht man sich das Phänomen der zellfreien DNA zunutze. Denn jeder von uns trägt kleine DNA-Bruchstücke in sich, die entstehen, wenn Körperzellen absterben und frei im Blut “schwimmen”. Das ist zunächst mal ein ganz normaler Prozess. Bei einer Schwangeren finden sich jedoch neben der mütterlichen DNA auch geringe Anteile der fetalen DNA, die aus Zellen der Plazenta stammen. In einem Verfahren, das dem Next Generation Sequencing sehr ähnlich ist, können nun die Sequenzen aller zellfreien DNA-Bruchstücke bestimmt werden, und diese den Chromosomen zugeordnet werden – sowohl den mütterlichen, als auch den fetalen Chromosomen. Dadurch lässt sich dann – mit enormem bioinformatischem Aufwand – mehr oder weniger das gesamte Genom des Fetus bestimmen. Das ist aber deutlich schwieriger, als es das beim “normalen” Next Generation Sequencing ohnehin schon ist. Denn eine Hälfte des fetalen Genoms entspricht schließlich dem der Mutter. Woher weiß man nun aber, welches Allel eines Gens von der Mutter an das Kind weitergegeben wurde? Man findet schließlich beide in großer Menge im Blut der Mutter! Der Trick besteht darin, dass dasjenige Allel, das auf den Fetus vererbt wurde, ein klein wenig häufiger im Blut zu finden sein wird, als das nichtvererbte. Findet sich also Allel 1 zu einer Häufigkeit von sagen wir 45 %, und Allel 2 zu einer Häufigkeit von 55 %, dann kommt dieser Unterschied dadurch zustande, dass sich Allel 2 sowohl in der mütterlichen, als auch der fetalen DNA findet, und daher ein wenig überrepräsentiert ist. Verkomplizierend kommt hinzu, dass natürlich auch der Vater ein Allel 1 vererbt haben könnte – und sich so wieder ein Verhältnis von 50:50 ergibt. Trotzdem gibt es keinen prinzipiellen Grund, wieso man nicht das gesamte fetale Genom sequenzieren könnte. Bessere Methoden dazu werden ständig weiterentwickelt.

Der Status quo

Aktuell wird der NIPT aber noch kaum dazu verwendet, einzelne Gendefekte nachzuweisen. Das liegt noch in der Zukunft. In Deutschland werden bisher nur sogenannte Aneuploidien detektiert, bei denen es dazu kommt, dass ein Chromosom fehlt (Monosomie) oder zu viel vorliegt (Trisomie). Solche Aneuploidien führen zu schweren Fehlbildungen. Von allen 46 denkbaren Aneuploidien (22 Trisomien und 22 Monosomien – Geschlechtschromosomen lassen wir der Einfachheit halber mal außen vor) werden nur drei auch lebend geboren. Das sind die Trisomien 13, 18 und 21. Dabei führen die Trisomien 13 und 18 zu so schweren Krankheitsbildern, dass die betroffenen Kinder – wenn sie denn überhaupt geboren werden – schon kurz nach der Geburt versterben. Nur die Trisomie 21 hat mit einer Lebenserwartung von ca. 50-60 Jahren einen Phänotyp, der mit dem Überleben der Kindheit vereinbar ist. Aber auch hier kommt es zu einer ganzen Reihe an gesundheitlichen Problemen, wobei die Ausprägung dieser Probleme zwischen den einzelnen Betroffenen großen Schwankungen unterliegt.

Um diese Aneuploidien festzustellen, mussten vor dem NIPT zwei andere Methoden eingesetzt werden, die ich oben schon kurz erwähnt hatte: die Fruchtwasserpunktion (Amniozentese) oder die Chorionzottenbiopsie. Da es sich hier um invasive Eingriffe handelt, bei denen entweder die Fruchtblase oder die Plazenta punktiert werden, gehen sie mit dem Risiko einer Fehlgeburt einher (in ca. 0,5-1 % der Eingriffe). Ganz obsolet sind sie durch den NIPT nicht geworden, da es aktuell noch so ist, dass ein auffälliger NIPT (in dem sich z.B. eine Trisomie 13 zeigt) durch eine dieser beiden Methoden bestätigt wird, damit man sich in der Diagnose wirklich zu 100 % sicher sein kann (sofern das in der Medizin überhaupt möglich ist). Aber der NIPT reduziert die Anzahl dieser beiden Eingriffe deutlich, wenn man einen verdächtigen Befund im Ultraschall mittels NIPT überprüfen kann, und nur noch die auffälligen NIPTs invasiv absichern muss.

Der NIPT ist ab der 10. Schwangerschaftswoche möglich. Bei einem positiven Ergebnis besteht in Deutschland also immer noch die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs, die bis zur 14. Schwangerschaftswoche möglich ist. Die Entscheidung, ob man ein Kind mit einer Trisomie austrägt, ist eine hochkomplexe. Für alle Trisomien außer der Trisomie 21 würden sich die meisten Eltern vermutlich eher für einen Abbruch entscheiden. Denn das sind Kinder, die in den seltensten Fällen bis zur Geburt überleben. Hier kann eine frühe Diagnose viel Leid ersparen, wenn der Abbruch schon durchgeführt wird, wenn der Fetus keine 50 Gramm wiegt – verglichen mit einem Kind, das mit schweren Fehlbildungen zur Welt kommt, und unabwendbar nach Wochen oder Monaten verstirbt. Trotzdem bleibt die Entscheidung natürlich immer eine individuelle.

Zukunftsmusik

Aktuell kostet der NIPT etwa 200-400 Euro. Ab 2022 wird der NIPT Kassenleistung, d.h. muss nicht mehr selbst bezahlt werden. Das soll bisher jedoch nur für begründete Fälle gelten, also für Schwangerschaften, bei denen ein erhöhtes Risiko für Aneuploidien vorliegt. Ich gehe aber davon aus, dass sowohl die Übernahme durch die Krankenkassen, also auch das Anwendungsgebiet (also die Liste an Krankheiten, die damit diagnostiziert werden können) immer mehr erweitert werden. Auch werden Amniozentesen und Chorionzottenbiopsien mit der Verbesserung des NIPT immer seltener notwendig werden, wenn ein auffälliger Befund nicht mehr abgesichert werden muss. Als Test ohne direkte Risiken werden so in Zukunft viele schwere Erbkrankheiten frühzeitig entdeckt werden können. Hier bietet sich eine Möglichkeit, diesen Erbkrankheiten, gegen die es aktuell kaum wirksame Therapien gibt, effektiv vorzubeugen. Man darf also gespannt sein, für was der NIPT in den kommenden Jahren alles eingesetzt werden wird.

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