Das menschliche Genom – Mendelsche Erbgänge

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Genetik ist spannend, aber leider auch komplex, und auf diesem Gebiet herrschen jede Menge Missverständnisse. Ich habe bereits über einige Grundlagen geschrieben, nämlich was ein Gen und ein Chromosom überhaupt sind. Diese Grundlagen sind nötig, damit man aktuelle Forschung und Gentherapien verstehen und einordnen kann. Denn auf diesem Gebiet tut sich einiges! Zusätzlich ist Krebs im Prinzip eine genetische Erkrankung (was nicht automatisch bedeutet, dass Krebs immer vererbbar ist!). Heute wollen wir uns die Vererbung monogenetischer Erkrankungen anschauen, die nach bestimmten Regeln funktionieren – den Mendelschen Regeln, die von Gregor Mendel entdeckt wurden.

Autosomale Erbgänge

Eine kurze Wiederholung: Autosomen bezeichnet die Chromosomen 1-22, also alle Chromosomen, die keine Geschlechtschromosomen (= Gonosomen) sind. Von jedem Chromosom tragen wir zwei Kopien in uns. Eines davon wird vom Vater vererbt, das andere von der Mutter. Da wir von jedem Autosom zwei Kopien haben, haben wir auch von jedem Gen, das von den Autosomen kodiert wird, zwei Varianten. Genvarianten heißen Allele.

Die einfachste Form der Vererbung von Eigenschaften liegt vor bei solchen Eigenschaften, die von genau einem Gen bestimmt werden. Die besten Beispiele sind hier Krankheiten, denn die allermeisten anderen Eigenschaften (wie beispielsweise Körperlänge) sind nur zum Teil genetisch bedingt, und auch dieser genetische Anteil wird nicht nur von einem Gen, sondern von vielen Genen ausgemacht. Auch Eigenschaften wie die Augenfarbe, von denen man oft hört, dass sie “rezessiv” vererbt werden, und die nur von einem Gen bestimmt werden sollen, sind meistens komplexer. Denn auch wenn braune und blaue Augen in erster Näherung einem autosomal-rezessiven Erbgang folgen, gibt es hier durchaus relevante Ausnahmen (es ist durchaus möglich, dass zwei blauäugige Eltern ein braunäugiges Kind bekommen – auch wenn man häufiger die vereinfachte, aber falsche gegenteilige Aussage liest). Und auch Krankheiten sind meistens zum Teil genetisch, zum Teil durch die Umwelt bedingt (“multifaktoriell”). Aber in einigen Fällen sind Krankheiten rein auf ein einzelnes Gen zurückzuführen – und dienen daher als gute Beispiele, um Vererbung zu verstehen.

Vor einem Monat habe ich bereits erklärt, wie es zu einer Sichelzellanämie kommt. Die Sichelzellanämie ist nämlich durch eine Punktmutation (d.h. eine Base ist ausgetauscht) im beta-Globingen bedingt, das von Chromosom 11 kodiert wird (also von einem Autosom). Trägt man eine Version des kranken Gens, das zweite ist aber noch gesund, dann erkrankt man nicht. Man merkt noch nicht einmal, dass man ein sog. Träger des kranken Allels ist (wenn man sich nicht genetisch untersuchen lässt). Wenn jetzt aber zwei Träger des defekten Allels miteinander ein Kind zeugen, dass bekommt dieses Kind von jedem Elternteil ein Chromosom 11 vererbt. Hier gibt es jetzt vier mögliche Kombinationen:

Ein Kind kann also homozygot für das gesunde Allel sein (SS, 25 % der Fälle), heterozygot (SS, ingesamt 50 % der Fälle, wobei das kranke Allel von der Mutter oder vom Vater kommen kann – was hier keine Rolle spielt), oder homozygot für das kranke Allel (SS, 25 % der Fälle), wobei nur in diesem Fall das Kind auch an der Sichelzellanämie erkranken würde. Die Sichelzellanämie ist das klassische Beispiel eines autosomal-rezessiven Erbgangs. Autosomal, weil das einzige Gen, das über die Krankheit entscheidet, auf einem Autosom kodiert ist; rezessiv, weil beide Allele mutiert sein müssen, damit die Krankheit entsteht.

Dem Gegenüber steht ein autosomal-dominanter Erbgang. Der Unterschied ist hier, dass es ausreicht, dass nur eines der beiden Allele mutiert ist, um die Krankheit auszulösen. Eine Betroffene kann daher die Krankheit mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % an ihr Kind vererben – wenn sie eben nicht das Chromosom mit dem gesunden Allel weitergibt, sondern das andere (das gleiche gilt natürlich für Männer – bei autosomalen Erbgängen ist das Geschlecht irrelevant). Ein Beispiel wäre die Achondroplasie, eine häufige Form des dysproportionierten Kleinwuchses. Statistisch gesehen werden 50 % der Kinder eines Betroffenen ebenfalls an der Achondroplasie erkranken.

Und was ist mit den Geschlechtschromosomen?

Natürlich können auch Gene defekt sein, die auf einem der Gonosomen (X oder Y) lokalisiert sind. Auch hier ist prinzipiell ein dominanter und ein rezessiver Erbgang denkbar: X-chromosomal-rezessiv und -dominant, Y-chromosomal-rezessiv und -dominant. In der Praxis (und definitiv für den Rahmen dieses Blogs) ist aber eigentlich nur der X-chromosomal rezessive Erbgang relevant. Wieso? Nun, auf dem Y-Chromosom werden eigentlich kaum Gene kodiert. Die wenigen Gene, die jedoch kodiert werden, dienen dazu, einen männlichen Phänotyp auszubilden. Wenn hier etwas schief geht, dann sind die Betroffenen meistens unfruchtbar, und eine Vererbung gar nicht möglich (wobei es hier dank moderner Methoden der künstlichen Befruchtung mittlerweile auch Ausnahmen gibt). Die Bezeichnungen “rezessiv” und “dominant” machen beim Y-Chromosomen ohnehin wenig Sinn, da maximal ein Y-Chromosom vorliegt (abgesehen von seltenen Chromosomenstörungen). Und beim X-Chromosom ist es nunmal so, dass es kaum Krankheiten mit X-chromosomal dominantem Erbgang gibt (der Grund dafür ist mir zumindest unklar).

Wie sieht ein X-chromosomal rezessiver Erbgang aus? Wie wir wissen, tragen Frauen zwei X-Chromosomen, Männer nur eines. Das bedeutet, dass Männer mit einem Defektallel automatisch erkranken. Frauen würden nur erkranken, wenn sie zwei defekte X-Chromosomen vererbt bekommen. Das kann aber nur passieren, wenn der Vater ein defektes X-Chromosomen besitzt – und damit selber krank wäre. Solche Erkrankungen sind aber häufig sehr schwer, und diese Konstellation daher enorm selten. Es gilt also: In den allermeisten Fällen sind von X-chromosomal rezessiven Erkrankungen nur Männer betroffen. Ein Beispiel für eine solche Erkrankung wäre die Bluterkrankheit (Hämophilie), bei der ein Gerinnungsfaktor (über die ich hier schon geschrieben habe) defekt ist, entweder der Faktor VIII (Hämophilie A) oder der Faktor IX (Hämophilie B). Beide Gerinnungsfaktoren sind Proteine, die von einem Gen auf dem X-Chromosom kodiert werden – und bei denen ein Defekt dazu führen, dass das Blut nicht mehr richtig gerinnt, und auch kleine Blutungen schon lebensbedrohlich sein können.

Conclusio

An der Stelle ist es denke ich noch einmal wichtig zu erwähnen, dass es sich bei diesen Vererbungsformen (autosomal-rezessiv, autosomal-dominant, X-chromosomal rezessiv) um seltene Formen handelt. Meistens findet man nicht ein einzelnes Gen, das für eine Erkrankung ursächlich ist. Viel öfters sind es eine vielzahl an Genen, die zusammen mit Umweltfaktoren bestimmen, ob wir erkranken oder nicht (die Liste solcher Erkrankungen ist quasi endlos: z.B. Herzinfarkt, Arthrose, Schizophrenie, Depression, Diabetes, …). Aber sie sind nützliche Beispiele, mit denen man Genetik etwas besser verstehen kann. Darüber hinaus gibt es natürlich noch viele Ausnahmen und Sonderfälle, die für uns an dieser Stelle nicht wichtig sind, aber die ich der Vollständigkeit halber kurz erwähnen möchte. In diesen Vererbungsformen haben wir beispielsweise die Möglichkeit sogenannter Neumutationen ignoriert. Gerade bei autosomal-dominanten Erkrankungen könnte es ja sein, dass eine Erkrankung so schwer verläuft, dass die Betroffenen nie ins zeugungsfähige Alter kommen, das defekte Allel also nie weitergegeben wird. Trotzdem können solche Krankheiten auftreten, nämlich wenn die Mutation erst bei der Zeugung des Kindes entsteht (weil beispielsweise die Eizelle eine solche Mutation trägt). So kann eine gesunde Person trotzdem ein Kind bekommen, das an einer (formal betrachtet) autosomal-dominant vererbten Erkrankung leidet.

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