Über Xenotransplantationen und schlechte Wissenschaftskommunikation

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Seit einer Woche macht eine spektakuläre Neuigkeit die Runde: Das erste Mal wurde ein Schweineherz in einen Menschen transplantiert, das nicht sofort abgestoßen wurde! So schreibt es unter anderem der Spiegel und die Tagesschau. Und obwohl dieser Eingriff wirklich ein Meilenstein ist, der das Potential hat, die Medizin zu revolutionieren, fehlt komplett der wissenschaftliche Kontext, in dem man diese Entwicklung betrachten muss. Denn ohne Kontext entsteht der Eindruck, dass einem unbegrenzten Vorrat an Spenderorganen nun nichts mehr im Wege steht. Es ist das gleiche Problem, das sich bei so vielen anderen Berichten über Forschungsergebnisse findet: Es findet keinerlei Einordnung statt. Dabei ist das eine der essentiellen Aufgaben von Journalismus! Mich ärgert das immer maßlos, denn gerade der wissenschaftliche Kontext ist das Wichtige! Das gleiche Problem ist besonders ausgeprägt bei Berichten über ein neue, scheinbar revolutionäre Krebsmedikamente. Ließt man diese als Laie entsteht schnell der Eindruck, dass diese Krankheit damit quasi besiegt ist. Und solche Berichte findet man ständig! Was dabei fast nie erwähnt wird: Es handelt sich hierbei in der Regel um präklinische Studien in Zellkulturen oder Tiermodellen, die kaum auf den Menschen übertragbar sind. Darüber hinaus sollen solche Wirkstoffe bei einer bestimmten Krebsart wirken und kein Wundermittel gegen jede Form von Krebs sein. Und auf dem Weg von solchen Studien zu einem Medikament, das auch in der Praxis verwendet wird, sind noch viele Hürden zu nehmen, die nur die wenigsten potentiellen Wirkstoffe überwinden. Erwähnt wird all das meistens nicht, und der erweckte Eindruck ist fatal, wenn Jahre vergehen und die Behandlung von Krebs weiterhin schwierig und eine Heilung oft unmöglich bleibt. (Was übrigens nicht heißt, dass in der Onkologie keine Fortschritte gemacht werden: Statt großer Sprünge verbessert sich die Prognose einer Krebsdiagnose stetig ein bisschen – was man leider kaum mitbekommt, da es eine ziemlich langweilige Schlagzeile abgäbe.) Auch wenn ich von Organtransplantationen nur wenig verstehe, möchte ich doch versuchen, ein wenig Hintergrundinformationen zu geben, wieso Organe so rar sind, diese Meldung so revolutionär sein könnte, und wieso (leider!) doch etwas Zurückhaltung angebracht ist.

Ein wenig Kontext

Das prinzipielle Problem, um das es hier geht, liegt darin, dass wir das Versagen bestimmter Organe medizinisch nicht mehr therapieren können. Wessen Herz, Leber oder Lunge versagt, der wird bald sterben. Für die Nieren gibt es zwar ein Ersatzverfahren, die Dialyse, die auch über viele Jahre hinweg eingesetzt werden kann, aber auch viele neue Probleme mit sich bringt. Die Lunge und das Herz können nur kurzfristig – im Bereich von Tagen – mittels der sog. ECMO ersetzt werden, die spätestens seit Corona den meisten ein Begriff ist. Wessen Leber nicht mehr ausreichend funktioniert, zum Beispiel nach einer Leberentzündung (Hepatitis) oder zu viel Alkoholkonsum, dem ist auch Stand heute nicht mehr zu helfen. Sie hat ihren Namen nicht umsonst. Einzige Ausnahme ist der Ersatz des Organs. Und darum geht es bei dieser Meldung.

Derzeit ist es nämlich so, dass nur Organe von Menschen transplantiert werden können. Einzelne Gewebe – beispielsweise Herzklappen – werden auch jetzt schon aus Tieren hergestellt und dann als Herzklappenersatz beim Menschen eingesetzt. Das geht aber nur mit gewissen Geweben, die bestimmte Eigenschaften erfüllen. Eine Herzklappe besteht beispielsweise hauptsächlich aus Bindegewebe, ist nicht durchblutet und enthält kaum Zellen. In diesem Kontext spricht man auch von immunprivilegierten Organen und Geweben; also Geweben, an die das Immunsystem nicht so einfach rankommt, und bei denen es daher nicht (bzw. seltener) zu Abstoßungsreaktionen kommt. Dazu gehören unter anderem auch die Cornea des Auges, die Hoden, der schwangere Uterus oder auch die Backentaschen des Hamsters (einer meiner Lieblings-Funfacts). Die Transplantation ganzer Organe wird derzeit aber nur zwischen Menschen durchgeführt (eine sogenannte Allotransplantation). Bis auf die eben erwähnten Gewebe sind Transplantationen zwischen Tieren und Menschen (sogenannte Xenotransplantationen) noch nie vorgekommen (bzw. sind katastrophal gescheitert).

Aber wieso ist es ein Problem, dass man menschliche Organe braucht? Schließlich sterben jeden Tag viele Menschen, und die meisten haben noch viele brauchbare Organe. Das Problem liegt primär darin, dass man auf eine ganz bestimmte Weise sterben muss. Wenn ich jetzt in diesem Moment einen Herzinfarkt erleide oder von einem Auto überfahren werde, dann steht mein Kreislauf still und dann sterben auch alle meine anderen Organe ab. Ohne Blutzufuhr überlebt nämlich kein Organ sonderlich lange; das ist schließlich der Grund, wieso bei einem Schlaganfall oder Herzinfarkt sehr schnell (innerhalb weniger Stunden) interveniert werden muss: Um die Blutversorgung des Organs wiederherzustellen. Und selbst wenn das sehr schnell gelingt stirbt ein Teil des Organs trotzdem ab. Für Transplantationen brauche ich also eine möglichst kontinuierliche Blutversorgung des Organs. Daher eignet sich die Lebendspende am besten – geht aber natürlich nur bei Organen, auf die ich verzichten kann (z.B. meine zweite Niere). Wobei anonyme Nierenspenden, wie es sie in den USA gibt, in Deutschland ohnehin verboten sind. Die zweitbeste Option aus Transplantationssicht ist die Entnahme der Organe eines hirntoten Menschen. Der ist zwar (definitionsgemäß) tot, hat aber noch Organe mit einer normalen Blutversorgung. Aber Hirntod ist eben nichts super häufiges (zum Glück!). Und auch dann kann es natürlich sein, dass die Organe gar nicht mehr für eine Spende geeignet sind: Wer hirntot ist, hat mit guter Wahrscheinlichkeit auch noch andere medizinische Probleme. Und dann kommt noch das Problem der Einwilligung in die Organspende hinzu, denn wer hat schon einen Organspendeausweis? Oder zu Lebzeiten mit seinen Angehörigen über genau diesen Fall gesprochen? Und zu guter Letzt gibt es dann immer noch ein riesiges Problem, wenn wir ein spendefähiges Organ gefunden haben: Wer kann es denn überhaupt bekommen? Damit reden wir über Abstoßungsreaktionen und nähern uns so langsam dem verlinkten Artikel.

Unser Immunsystem ist super wichtig, super interessant und super komplex. Wer mehr darüber lernen will, den verweise ich auf meine Buchempfehlung vom Dezember. Für das Thema Organtransplantation reicht es aber erst mal aus, ein Grundprinzip des Immunsystems zu kennen: Das Immunsystem lernt, was körpereigene Strukturen sind, und erkennt alles andere als fremd an. Was als fremd erkannt wird, wird zerstört. Die Strukturen, von denen hier die Rede ist, sind molekulare Strukturen, die man im Kontext des Immunsystems als Antigene bezeichnet, von denen hier im Blog schon öfters die Rede war. Das sind meistens Proteine, können aber beispielsweise auch Zuckerstrukturen sein. Wenn wir jetzt eine Allotransplantation durchführen, also eine Mensch-zu-Mensch-Transplantation, dann unterscheiden sich die Organe kaum in ihrer Zusammensetzung, denn schließlich unterschieden sich zwei zufällige Menschen genetisch (und damit in ihren Antigenen) kaum. Worauf man aber besonders achten muss ist der sogenannte major histocompatibility complex (MHC). Das ist eine Gruppe von 10 Proteinen, mittels derer das Immunsystem zwischen „selbst“ und „fremd“ unterscheiden kann (mit einem furchtbar komplizierten Mechanismus, der einen eigenen Blogpost oder sogar eine kleine Reihe verdient hätte – in Immune ist es aber sehr schön erklärt). Diese Proteine sollten bei beiden Menschen möglichst identisch sein. Denn wenn eine Immunzelle des Organempfängers ein falsches MHC-Protein auf dem Spenderorgan sieht, dann erkennt er dieses automatisch als „fremd“ an, und das Transplantat wird abgestoßen. Leider sind die MHC-Proteine hochvariabel, was bedeutet, dass es unwahrscheinlich ist, das zwei zufällige Menschen die gleichen MHC-Proteine tragen. Man muss also viele Menschen untersuchen, bis man mal ein „Match“ findet. Etwas besser stehen die Chancen immerhin bei Blutsverwandten.

All das zusammen zeigt, wie kompliziert Organspenden sind und erklärt auch, wieso in Deutschland 2020 nur etwa 3000 Organe transplantiert wurden. Etwa 2000 davon waren Nieren (und davon waren wiederum rund 500 Lebendspenden). Dem gegenüber stehen 2020 allein 35.000 Todesfälle durch Herzinsuffizienz, die man theoretisch alle mit einer Herztransplantation hätte heilen können. Selbst mit besseren Regelungen zur Organtransplantation (beispielsweise „out out“ statt „opt in“ beim Organspendeausweis) kann die Allotransplantation, also die Transplantation menschlicher Organe, nur einen Tropfen auf den heißen Stein darstellen.

Und jetzt sind wir beim verlinkten Artikel: Das erste Mal wurde eine Xenotransplantation eines Organs beim Menschen durchgeführt! Das ist ein genialer Schritt. Aber es ist nur ein Schritt von vielen vielen vorhergangenen und weiter notwendigen Schritten. Denn es wurde zum jetzigen Stand – zumindest bei diesem einen Patienten – zunächst einmal nur ein bestimmtes Problem der Xenotransplantation überwunden, nämlich das der hyperakuten Transplantatabstoßung. Die besteht darin, dass alle Menschen Antikörper gegen eine Zuckerstruktur bilden, die sich alpha-Gal nennt (die wir schon von der Fleischallergie kennen), und die von allen Säugetieren mit Ausnahme einiger Primaten – darunter der Mensch – exprimiert wird. Diese Antikörper greifen das Xenotransplantat eines Schweines innerhalb von Minuten und Stunden an. Die Schweine, die man hier zur Transplantation verwendet hat, wurden daher gentechnisch verändert, so dass sie unter anderem kein alpha-Gal mehr exprimieren. Da der Patient das transplantierte Herz nicht direkt wieder abgestoßen hat, liegt nahe, dass das spezifische Problem der hyperakuten Transplantatabstoßung durch alpha-Gal-Antikörper behoben wurde – was natürlich ein großer Erfolg ist! Aber: Allein nach der kurzen Ausführung, die ich über das Immunsystem und Abstoßungsreaktionen gegeben habe, muss man sich die Frage stellen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass das Transplantat eines Schweins, das sich in so vielen Antigenen (geschweige denn dem MHC) vom Mensch unterscheidet, langfristig akzeptiert wird? In meiner Laienmeinung: Vermutlich nicht lange, und definitiv nicht lang genug, als dass wir diese Schweineherzen zum jetzigen Zeitpunkt als gängige Therapieoption betrachten könnten. Dazu müsste die Lebensdauer im Bereich von Jahren, besser noch Jahrzehnten liegen. Die bisherigen Überlebenszeiten von Xenotransplantationen von Schweinen zu nicht-humanen Primaten lagen maximal im Bereich von anderthalb Jahren (bei Nieren), meistens eher im Bereich einiger Wochen.

Was einem etwas Hoffnung geben kann ist jedoch, dass bei dem verwendeten Schwein nicht nur alpha-Gal gentechnisch ausgeschaltet wurde. Es wurden auch sechs menschliche Gene in das Schweinegenom eingebracht, welche die später einsetzenden Abstoßungsreaktionen verhindern sollen. Dass bei diesem ersten Versuch im Menschen schon der Volltreffer gelandet wurde, der sämtliche Immunreaktionen gegen das Spenderorgan unterdrückt, ist aber trotzdem unwahrscheinlich. Hier wird noch viel Forschung stattfinden müssen, um herauszufinden, welche genetischen Veränderungen die Abstoßungsreaktion am besten unterdrücken. Für David Bennett, dem Mann, dem das Schweineherz eingesetzt würde, und alle anderen Menschen, die auf ein Spenderorgan warten, hoffe ich natürlich, dass ich hier viel zu pessimistisch eingestellt bin. Letztlich werden wir schlichtweg abwarten müssen, um die Antwort zu erhalten.

Nachtrag: Etwa zwei Monate nach seiner Operation ist David Bennett nun verstorben. Ob sein Tod durch das transplantierte Herz oder einen anderen Grund erfolgte, ist derzeit noch unklar.

Conclusio

Das war also der Kontext, in dem man diese Meldung betrachten sollte. Wie so oft wurde dieser bei der Berichterstattung leider weitgehend ignoriert, und stattdessen wurde große Hoffnung geschürt, das alle unsere medizinischen Probleme bald durch Schweineorgane im Überfluss gelöst werden. Das ist das enorme Potential dieser Forschung, und das hier ist definitiv ein Meilenstein, und auch ein großer Erfolg der modernen Gentechnik! Aber es gilt vermutlich noch viele weitere Probleme zu überwinden, bevor dieses Potential auch ausgeschöpft werden kann. Man darf trotzdem gespannt sein, was sich in Zukunft noch alles auf diesem Gebiet tun wird.

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